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Ben

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"Ich lebte unter dem Schatten des Koran"
« on: June 17, 2012, 09:40:25 am »
"Ich lebte unter dem Schatten des Koran"

Emrah E. war Deutschlands meistgesuchter Terrorist – jetzt wurde er in Tansania gefasst und wird nach Deutschland ausgeliefert. Das Porträt eines Kriminellen, der zum radikalen Dschihadisten wurde. Von Florian Flade

Die Terrorkarriere des Emrah E. aus Wuppertal findet in Zentralafrika ihr Ende. Am 10. Juni stellt die örtliche Polizei den meistgesuchten Terroristen Deutschlands in Daressalam, der Hauptstadt Tansanias. Ein Einkaufszentrum soll er in Kenia in die Luft gejagt haben.

In den kommenden Tagen wird der 24-jährige Bundesbürger kurdischer Abstammung nach Angaben afrikanischer Medien nach Deutschland ausgeliefert werden.

Es ist eine wichtige Nachricht im Kampf gegen den islamistischen Terror in Deutschland. Doch sie ging unter, angesichts einer bislang einzigartigen Polizeiaktion. Bundesweit durchsuchten Polizisten an über 70 Orten am Donnerstagmorgen Vereinsheime und Wohnungen radikaler Islamisten.

 Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) spricht anschließend von einem schweren Schlag gegen die Salafisten. Emrah E. erwähnt er hingegen nicht.

Dennoch gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem jungen Mann und der spektakulären Aktion: "All diejenigen, die im terroristischen Umfeld gelandet sind, haben einen salafistischen Hintergrund", sagte Friedrich mehrfach. Wie Emrah E. Auch er war Salafist in der deutschen Provinz, bevor er eine internationale Terrorlaufbahn einschlug.

Kein großer Durchbruch erwartet

Die Strategie, radikale Gläubige mit Razzien einzuschüchtern und ihre Netzwerke zu zerschlagen, dürfte nicht den großen Durchbruch bringen. Der Fall von Emrah E. zeigt, dass der Staat viel früher hätte einschreiten müssen. Der junge Deutsch-Kurde war ein Außenseiter; er gehört zu denen, die in dieser Gesellschaft ausgegrenzt werden, lange bevor sie in radikalen Hinterhof-Moscheen auftauchen. Und wohl auch deswegen so empfänglich für den Extremismus sind.

"Studien zeigen, dass jeder zweite radikale Salafist eine von Kriminalität und Gewalt geprägte Teenagerzeit durchlaufen hat", sagt Islamismus-Expertin Claudia Dantschke vom Zentrum Demokratische Kultur in Berlin. "Ein Leben ohne Perspektive, voller Sehnsucht nach Glück und Anerkennung."

Glaubt man Emrahs Erzählungen, dann fand er zu Allah, als er längst mit der Gesellschaft gebrochen hatte. In Zelle Nr. 347 der Jugendvollzugsanstalt Siegburg las er den Koran, fand darin Halt: "Von der Dunkelheit ins Licht", nannte Emrah E. diese Entwicklung. Auf sieben Quadratmetern wurde er zum Salafisten.

"Ich bin das schwarze Schaf der Familie"

In seinem Leben vor dem Knast findet Religion keinen Platz. Emrah E. kommt 1988 in der osttürkischen Stadt Karliova zur Welt, zwei Jahre später zieht die Familie nach Deutschland. Im Wuppertaler Stadtteil Vohwinkel beginnt sie ein neues Leben. Hier wächst "Emo" mit zwei älteren Schwestern und den jüngeren Brüdern Bünyamin und Yusuf auf.

"Ich bin genau in der Mitte und das schwarze Schaf der Familie", schreibt Emrah später über sich in einer salafistischen Zeitung. "Ich habe viel Schlechtes gemacht (...) eine Anzeige kam nach der anderen." Er habe sich nur noch für Discotheken, Drogen und Schlägereien interessiert.

"Ich versuchte, so viel Geld wie möglich und hübsche Frauen an meiner Seite zu haben." Emrah sucht einen Weg zwischen dem konservativen Elternhaus und dem Leben als Straßengangster.

Als Emrahs Schwester einen angehenden Prediger heiratet, sieht der Vater eine Gelegenheit, den Sohn vor einer kriminellen Karriere zu bewahren und schickt ihn in eine pakistanische Koranschule. Dort kommt Emrah mit radikalen Muslimen aus den USA, Großbritannien, Australien, Ostafrika und dem Kaukasus in Kontakt.

"Eine Pistole, und in zehn Minuten war alles klar"

Nach seiner Rückkehr aus Pakistan lässt er die Schule schleifen, er kifft und trinkt. "Nach drei Monaten war ich wieder der Alte." Emrah hat weder Arbeit noch Geld. "Spätestens jetzt hätten sich die Eltern professionelle Hilfe bei staatlichen oder privaten Institutionen holen müssen, was aber auch ein Eingeständnis des eigenen Versagens bedeutet hätte", sagt Expertin Dantschke.

Stattdessen setzt der Vater seinen Sohn vor die Tür. Der Teenager lebt einen Monat auf der Straße, begeht Raubüberfälle: "Eine Pistole, und in zehn Minuten war alles klar. Mal 20 bis 30 oder 100 Euro". Doch seit dem Pakistan-Aufenthalt fürchtet er sich vor der ewigen Hölle. "Ey, was ist mit Allah? Emrah, was tust du da?", fragt er sich.

Emrah ist 17 Jahre alt, als er wegen "schwerer räuberischer Erpressung" zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird. Kurz nach der Haftentlassung wird er erneut kriminell. Im September 2007 folgt das zweite Urteil: drei Jahre und sechs Monate. Es folgt die Zeit in der JVA Siegburg. Nacht für Nacht liest Emrah nun den Koran und betet: "Ich lebte unter dem Schatten des Koran. Das war mein Motto."

"Die Haft als Ort der Radikalisierung wird unterschätzt"

Dantschke bestätigt, dass die jungen Männer sich oft erst im Gefängnis zu Fanatikern wandeln. "Die Haft als Ort der Radikalisierung wird von den Behörden völlig unterschätzt, obwohl es genug Erfahrungen am Beispiel des Rechtsextremismus gibt."

Wieder in Freiheit wird Emrahs Wandlung für Außenstehende sichtbar. Fortan trägt er lange Gewänder, lässt sich einen Bart stehen. Sogar den kleinen Bruder Bünyamin steckt er mit der neu gewonnenen Religiosität an. Regelmäßig besuchen beide die Wuppertaler Moschee-Gemeinde "Schabab an-Nur".

Dort predigt Imam "Abu Jibriel", ein Salafist. Seine Predigten gelten als eher gemäßigt. Zu gemäßigt für Emrah. Auch das ist typisch für junge Salafisten. Emrah will nicht nur fromm sein, er will ein Krieger Allahs werden. 

Emrah überlebt, Bünyamin ist auf der Stelle tot

Im Frühjahr 2010 ist er plötzlich verschwunden. Schnell wird klar: Er ist nach Pakistan gereist. Diesmal nicht zum Studium in einer Koranschule – sondern um in den "Heiligen Krieg" zu ziehen. In den Bergen Pakistans schließt sich der Wuppertaler der Terrorgruppe "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) an.

Aus "Emo" wird der Dschihadist "Salahuddin al-Kurdi". Es ist ein hartes, beschwerliches Leben in den pakistanischen Bergen. Dennoch folgt ihm der Bruder Bünyamin nach. Am 4.Oktober 2010 trifft eine US-Drohne das Haus, in dem die Brüder wohnen. Emrah überlebt, Bünyamin ist auf der Stelle tot. Emrah wird ihn wenige Stunden später eigenhändig begraben.

Geschockt über Bünyamins Tod wachsen in Emrah Zweifel. Per Telefon meldet er sich beim Bundeskriminalamt in Deutschland, sagt, er wolle zurück, habe genug vom Dschihad.

Als Gegenleistung für Straffreiheit und eine gewaltige Summe Geld bietet er Informationen über baldige Al-Qaida-Anschläge in Deutschland an. Die Behörden zögern.

Bluff oder Plan eines Botschaftsanschlags?

Blufft der Islamist oder plant er einen Anschlag auf eine deutsche Botschaft? Obwohl das BKA sein Angebot ablehnt, haben Emrahs Anrufe weitreichende Folgen. Dass der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière im November 2010 eine bundesweite Terrorwarnung herausgibt, hat mit Emrahs Telefonaten zu tun.

Kurze Zeit später verlässt Emrah Pakistan. Frau und Sohn schickt er nach Deutschland zurück. Er selbst steigt in Teheran in ein Flugzeug und setzt sich nach Kenia ab, schafft es bis nach Somalia, wo er Mitglied der Terrormiliz Al-Shabaab wird. Anfang Juni soll er wieder nach Kenia eingereist sein, diesmal mit dem Ziel, einen Terroranschlag zu verüben. Wenig später wird er in Tansania gefasst.

Jetzt kehrt er zurück in ein Land, dessen Regierung dem Salafismus den Kampf angesagt hat.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article106613048/Ich-lebte-unter-dem-Schatten-des-Koran.html

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