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KarlMartell

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AFGHANISTAN: Der Schattengouverneur
« on: October 28, 2012, 10:41:16 am »
AFGHANISTAN

Der Schattengouverneur

Berlin will den festgenommenen Taliban-Führer Mullah Rahman
am liebsten nach Deutschland bringen lassen. Dessen
Verhaftung ging auf konkrete Hinweise des BND zurück.

Der Gebäudekomplex ist riesig,
sein Ruf legendär: Afghanistans
Geheimdienst National Directo -
rate of Security, kurz NDS, betreibt sein
eigenes Gefängnis mitten in Kabul. Im
Viertel Shash Darak landen die wichtigen
Gefangenen des Landes. Auch Mullah
Abdul Rahman sitzt jetzt hier: jener Taliban-
Führer und Schattengouverneur der
Provinz Kunduz, der vor anderthalb Wochen
gefangen genommen wurde.
Ob der hagere Mann mit dem Vollbart
allein oder in einer Gruppenzelle weg -
geschlossen ist, darüber gibt es keine Auskunft.
Es existieren unterschiedlichste
Schilderungen von Häftlingen, die früher
in dem NDS-Gefängnis waren: Von Folter
ist dabei ebenso die Rede wie davon, dass
gegen Schmiergeld alles käuflich sei,
selbst die Freilassung.
Genau so etwas aber möchte die deutsche
Bundesregierung verhindern. Denn
Abdul Rahman ist „ihr“ Mann. Direkt
nach seiner Festnahme sprach Botschafter
Rüdiger König bei der afghanischen Regierung
vor und erklärte, dass Rahmans
Verurteilung ungeheuer wichtig sei.
Abdul Rahman ist, zumindest für die
in Afghanistan stationierten Deutschen,
das Gesicht des Gegners. Er symbolisiert
wie kaum ein anderer Afghane die Zwiespältigkeit
und die Schwierigkeit der
deutschen Afghanistan-Mission. Rahman
stand hinter der Entführung von zwei
Tanklastern, die im September 2009 auf
einer Sandbank bei Kunduz stecken -
geblieben sind – jener Aktion also, die
mit einem fatalen Bombardement und
dem Tod von fast hundert Menschen endete.
Der deutsche Kommandierende von
Kunduz, Oberst Georg Klein, hatte die
Tankwagen bombardieren lassen und dabei
die Menschen getroffen, die zum Abzapfen
des Treibstoffs an die Furt gekommen
waren. Bis auf wenige Taliban waren
es Zivilisten. Der afghanische Informant,
der das Kommando Spezialkräfte (KSK)
informierte, hatte im Verlauf des Abends
beteuert, es seien nur Taliban an der Furt.
Eine fatale Behauptung, die ihm mit 1500
Dollar Honorar entgolten wurde; aber
verhängnisvoll war erst, dass Oberst
Klein, der zum General befördert werden
soll, sie glaubte.
Es folgten der Rücktritt des verantwortlichen
Ministers Franz Josef Jung (CDU)
und ein Untersuchungsausschuss – Mullah
Abdul Rahman aber avancierte plötzlich
vom Dorfkommandeur zu einer Größe
unter den Taliban.
Am 4. November 2009 setzten ihn die
Deutschen mit der Nummer 2242 auf die
sogenannte Joint Prioritized Effects List
der Nato, eine ganz besondere Fahndungsliste.
Über 4000 Personen, meist
Taliban-Kommandeure oder mutmaßliche
Terroristen anderer Couleur, werden
dort mit Foto geführt. Manche sind wie
Rahman zur Festnahme ausgeschrieben,
neben anderen Namen steht ein K für
„Kill“. Sie können jederzeit ausgeschaltet
werden.
Der Fehlschlag der Bundeswehr, eine
der blutigsten Operationen der Nato in
Afghanistan, galt bei den Strategen der
Taliban damals als großer Propaganda-Erfolg.
Aus dem pakistanischen Quetta, wo
sich Teile der Taliban-Führungsriege versteckt
halten, erging die Order, dass Abdul
Rahman von nun an zu einem wichtigen
Kommandeur im Raum Kunduz aufsteigen
solle. Ihm wurden Kämpfer zugeteilt,
er sollte neue Operationen planen.
Am Karfreitag 2010 habe der Mullah
zurückgeschlagen, das ist der Vorwurf,
den die Bundesregierung nun erhebt. Abdul
Rahman soll einer der Drahtzieher
eines tödlichen Hinterhalts im Distrikt
Chahar Darreh gewesen sein, bei dem
drei deutsche Soldaten ums Leben kamen:
Hauptfeldwebel Nils Bruns, Stabsgefreiter
Robert Hartert und Hauptgefreiter
Martin Augustyniak.
Auch wegen der symbolischen Bedeutung
hat der Fall für die Bundesregierung
Priorität. Den Angehörigen der drei Soldaten
soll Gerechtigkeit widerfahren und
Abdul Rahman für viele Jahre hinter Gitter
kommen – falls die Vorwürfe sich erhärten
lassen. Berlin erwägt sogar ein Auslieferungsersuchen,
als Signal, wie ernst
es den Deutschen diesmal ist. „Der Umgang
mit festgenommenen Taliban ist eine
Herausforderung, der sich die afghanische
Justiz wird stellen müssen“, sagt Entwicklungshilfeminister
Dirk Niebel. Die Beweislage
ist allerdings schwierig. Die Bundesanwaltschaft
in Karlsruhe prüft derzeit,
ob die Indizien für einen Haftbefehl ausreichen.
Er wäre Grundlage für ein Auslie -
ferungsersuchen. Bisher aber reichen die
vorgelegten Fakten dafür nicht.
Rahman hatte sich wie so viele Feldkommandeure
der Taliban im Winter 2010
nach Pakistan abgesetzt, als binnen eines
Jahres fast die Hälfte der Kommandeure
in Kunduz Opfer amerikanischer Operationen
wurden. Der Paschtune befehligte
von dort Subkommandeure in der Region,
er soll Selbstmordattentäter rekrutiert und
Afghanen mit der Herstellung von Straßenbomben
beauftragt haben. Er reiste
immer wieder nach Afghanistan.
Der Mullah wusste, dass die Aktion
mit den Tanklastern sein Leben verändern
würde. Als er sich im Januar 2010
mit einem Reporter des SPIEGEL traf,
fürchtete er jeden Moment einen Zugriff
der US-Armee oder einen tödlichen
Drohnenangriff. Aber er fühlte sich auch
geschmeichelt, dass westliche Journalisten
sich für ihn interessierten.
In kurzen Telefonaten dirigierte Rahman
den Reporter auf einen belebten
Markt in Baghlan, eine Autostunde südlich
von Kunduz. Er hatte seit der Tanklaster-
Entführung diverse Male seine SIMKarte
ausgetauscht, um nicht geortet zu
werden. Plötzlich war Rahman dann da,
klopfte – eingehüllt in eine grüne Decke –
an die Scheiben eines Toyota. Als er sich
auf die Rückbank setzte, verbreitete sich
beißender Schweißgeruch im Auto. Rahman
wirkte nicht wie ein mächtiger Kommandeur,
sondern eher wie ein Getriebener.
Während er leise über den Tag des
Überfalls redete, starrte er aus dem Fenster.
„Es war ein Riesenfehler“, sagte er
damals, „nun werde ich von allen ausländischen
Soldaten gejagt.“
Auch später, als Rahman vermutlich in
Pakistan war, schnappten die Lauscher
der Bundeswehr immer wieder seinen Namen
auf. Im August 2011 berichtete ein
Informant der Deutschen, der Mullah plane
einen Angriff von Selbstmordattentätern
auf öffentliche Gebäude in Kunduz.
Zwei Monate lang hörte die Bundeswehr
dann Telefongespräche ab, wonach Rahman
angeblich Sprengstoff an zwei Bombenbauer
weitergeleitet hat.
Der entscheidende Durchbruch gelang
dem BND vor anderthalb Wochen. Rahman
war wieder einmal aus Pakistan zurückgekehrt.
Mit zwei Gefolgsleuten hatte
er sich im Dorf Ghunday Kalay bei
Kunduz versteckt, als deutsche Elitesoldaten
ihren Zugriff starteten. Im Schutz
der Dunkelheit umstellten rund 30 Männer
des KSK und 60 von ihnen ausgebildete
afghanische Soldaten das kleine, mit
hohen Lehmmauern umgebene Gehöft,
dann traten sie die Türen ein und stürmten
in den Innenhof. Mullah Rahman, in
Wolldecken gehüllt, wehrte sich nicht.
Seit Januar 2011 gingen 19 derartige Festnahmen
auf Tipps des deutschen Geheimdienstes
zurück, Rahman ist Nummer 20.
Seither unterstützt die Bundesregierung
Kabul bei der Abwicklung des Falls
Rahman. Die deutsche Botschaft trägt
derzeit Beweise zusammen, die an lokale
Staatsanwälte übergeben werden sollen.
Denn auch bei Vorlage eines Auslieferungsersuchens
würde der Festgenommene
wohl nicht nach Deutschland überstellt.
In jedem Fall wollen die Deutschen die
Wiederholung einer früheren Schmach
vermeiden. Im Mai 2009 hatte das KSK
einen anderen Taliban-Führer festgenommen
und nach Kabul geflogen. Das Gerichtsverfahren
zog sich hin, statt einer
langen Haftstrafe gab es am Ende ein mildes
Urteil. Im Sommer 2011 verließ der
mutmaßliche Mörder dank einer Amnestie
das Gefängnis – als freier Mann.
Für Verwirrung sorgte Ende voriger
Woche allerdings die Nachricht, dass
gleich zwei Taliban-Kommandeure namens
Abdul Rahman in Afghanistan festgesetzt
worden seien – einer von den
Deutschen, der zweite vom afghanischen
Geheimdienst NDS nahe der pakistanischen
Grenze.
Einer der beiden ist der Schattengouverneur.
Während sich die Bundeswehr
absolut sicher ist, dass sie diesen südwestlich
von Kunduz verhaftet hat, bezweifeln
afghanische Sicherheitskreise das. Bekannte
des Schattengouverneurs, ein ehemaliger
Uno-Mitarbeiter sowie Asadullah
Omarkhel, der örtliche Provinzchef des
„Hohen Friedensrates“, glauben, jener sei
der echte Rahman, der an der pakistanischen
Grenze festgenommen wurde. Er
sei unter falschem Namen kurzzeitig aus
Pakistan zurückgekehrt, um seinen kranken
Sohn zur Behandlung nach Peschawar
zu bringen. Auf dem Weg zurück
habe er südlich von Kunduz einen neuen
Fahrer bekommen, der aber Mitarbeiter
des Geheimdienstes gewesen sei.
Selbst wenn das stimmen sollte – einer
der beiden Festgenommenen ist auf jeden
Fall der Schattengouverneur.
Was aber bedeutet die Verhaftung Rahmans
für den Norden Afghanistans – jene
Region, von der deutsche Politiker gern
behaupten, dass sich die Lage dort stabilisiere?
Am Freitag vergangener Woche –
Rahman saß längst im Gefängnis – sprengte
sich ein Selbstmordattentäter in Polizeiuniform
vor der Moschee in Maimana,
der Hauptstadt der nordafghanischen Provinz
Faryab, in die Luft. Die Explosion
seiner Bombe riss 41 Menschen mit in
den Tod. Es war einer der grausamsten
Anschläge der vergangenen Jahre.
MATTHIAS GEBAUER, GORDON REPINSKI,
CHRISTOPH REUTER, HOLGER STARK

SPIEGEL 44/2012, S. 104/105

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