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KarlMartell

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Das Gesetz ist für alle gleich
« on: September 25, 2012, 10:30:57 pm »
Das Gesetz ist für alle gleich

Auch für den radikalen Islam in diesem Land
Von Michael Kleeberg

Das Buch des Berliner Bezirksbürgermeisters Heinz
Buschkowsky „Neukölln ist überall“ ist jetzt erschienen,
und allein anhand der vorabgedruckten Auszüge habe
ich den Eindruck, es handele sich um das wichtigste politische
Buch des Jahres für Deutschland.
Buschkowsky, 1948 in demselben Neukölln geboren, dessen
Verwaltung er seit 2001 leitet, ist ein Beispiel dafür, wie jemand
mit Intelligenz, Fleiß und Hartnäckigkeit sich noch in den sechziger
und siebziger Jahren in unserer Gesellschaft aus ärmlichen
Verhältnissen emporarbeiten konnte. Vielleicht prangert er gerade
deswegen so leidenschaftlich die sozialen Veränderungen
an, die Ähnliches heute quasi unmöglich machen – eine gescheiterte
Integrationspolitik beispielsweise und auch den Unwillen
einer Minderheit innerhalb der muslimischen Bevölkerungsgruppe,
die hier herrschenden Regeln zu befolgen.
Buschkowsky schreibt: „Solange wir eine Politik des Alles-
Verstehens und des Alles-Verzeihens betreiben und den Menschen
signalisieren, dass wir gar nicht daran denken, die Verhältnisse
zu ändern, weil diese Verwahrlosung der Sitten zur
kulturellen Identität und zur
Weltoffenheit gehöre, so lange
werden wir für eine wirklich erfolgreiche
Integrationspolitik nur
verhalten Mitstreiter finden.“
Aus der Kenntnis der Berliner
Verhältnisse und der politisch-medialen
Automatismen heraus war
es klar, dass eine der ersten Reaktionen auf das Buch die Nennung
des Unwortes „Sarrazin“ sein würde. Man wirft Buschkowsky
„Populismus“ vor, weil er Parallelgesellschaften, rechtsfreie
Räume und das Zerbrechen des staatlichen Gewaltmonopols
beschreibt, man wird versuchen, seine Erfahrungen wegzuleugnen,
kleinzureden, politisch zu denunzieren. Ein Grund
mehr, dem schon im Vorfeld entgegenzutreten.
In direktem Zusammenhang mit den in Buschkowskys Buch
beschriebenen Missständen steht die Diskussion um die Zumutbarkeit
der Ausstrahlung und Publizierung des amerikanischen
Films „Die Unschuld der Muslime“ in Deutschland. War -
um? Weil es in beiden Fällen um die gleiche Frage geht: Gelten
für Muslime, weil sie Muslime sind, in diesem Land andere Regeln
als für andere Bevölkerungsgruppen? Oder besser gesagt:
Werden die geltenden Regeln gegenüber Muslimen anders ausgelegt?
Und wenn ja, warum ist das so?
„Die Beschimpfung einer Religion, die geeignet ist, den öffentlichen
Frieden zu stören, ist bei uns untersagt“, hat Außenminister
Westerwelle argumentiert, um ein Aufführungsverbot
des Films zu rechtfertigen. In Wahrheit muss dieser
Satz anders lauten: Die Beschimpfung einer Religion, deren
Vertreter drohen, den öffentlichen Frieden zu stören, ist genau
deswegen bei uns untersagt. Die Beschimpfung einer Religion
dagegen, deren Vertreter ihren Abscheu mit zivilen Mitteln
kundtun, ist erlaubt. Siehe die „Titanic“-Häme gegen den Papst.
Neuköllner muslimische Clans missachten und brechen Gesetze,
weil diese nur für „die Ungläubigen“ gelten würden. Einige
deutsche Muslime wollen gegen die Verunglimpfung ihres
religiösen Empfindens anders geschützt werden oder glauben,
militanter dagegen vorgehen zu können, als das Katholiken in
vergleichbaren Fällen tun. In Staaten, in denen nach islamischem
Recht regiert wird, sind die Rechte Andersgläubiger eingeschränkt.
Drei Beispiele dafür, dass von Muslimen mit zweierlei
Maß gemessen wird zwischen Angehörigen der eigenen und
denen anderer Religionen. Da muss sich der Islam schon fragen
lassen, ob er mit diesem Phänomen so gar nichts zu tun hat.
Zwar finden sich im Koran selbst sowohl Beispiele für die
Toleranz gegenüber anderen Religionen wie auch für das
Gegenteil. Aber der Islam ist in seinen Ursprüngen ebenso
Gesetzeskodex gewesen wie göttliche Offenbarung. Zunächst
diente er dazu, eine wilde Wüstenbevölkerung zu einen und
unter ein verbindliches Regelwerk zu bringen. Die Mythen,
die Märtyrer, die Häupter voll Blut und Wunden kamen später
und hauptsächlich durch die Schia dazu. Von Anfang an umfasste
der Islam also religiöse und politisch-juristische Elemente,
es ging um das Seelenheil der Gläubigen und zugleich um
die Regeln des sozialen Mitein -
anders.
Alle Versuche islamischer Gelehrter,
den Koran und die Scharia
einer historisch-kritischen
Analyse zu unterziehen, die Religion
zu modernisieren, werden
quasi seit der Verbannung des
Philosophen Averroes aus Córdoba im Jahre 1195 von der Hier -
archie der Glaubenshüter untersagt oder bekämpft. Der Islamwissenschaftler
Nasr Hamid Abu Said, der an der Universität
Kairo lehrte, zur islamischen Theologiegeschichte und dem modernen
Islamismus forschte, wurde 1995 als „Ketzer“ angeklagt,
weil er den Koran mit literaturwissenschaftlichen Mitteln analysierte,
und zwangsgeschieden. Er musste in die Niederlande
emigrieren. Dieser juristische Geltungsanspruch der Scharia,
die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als „inkompatibel
mit den fundamentalen Prinzipien der Demokratie“
bezeichnet wurde, steht heutzutage hoffnungslos quer zu den
Regeln, mit denen freie Gesellschaften ihr Zusammenleben
strukturieren. Der politische Islam gehört also nicht nur nicht
zu Deutschland, sondern zu überhaupt keiner Demokratie.
Um politisch satisfaktionsfähig zu werden, müsste er
(aber wer in all den untereinander verfeindeten Spielarten
dieser Religion sollte das wohl stipulieren?) zunächst
den Primat der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
akzeptieren und sodann erlauben, dass, wer immer es
möchte, aus dieser Religion austreten kann. Bis es so weit ist,
respektiere ich jedes Individuum in der privaten Ausübung seiner
religiösen Pflichten und Überzeugungen, sehe aber den
politischen Islam und das islamische Recht als Feinde der
Rechtsordnung und der Gesellschaft, in der ich leben will.
Warum aber, und das ist die viel kniffligere Frage, wird hierzulande
nur eine Sekunde darüber diskutiert, ob die Allge-
meingültigkeit unserer Regeln für die Anhänger einer bestimmten
Religionsgemeinschaft nicht gilt, ob hier Sonderregelungen,
besondere Rücksichtnahme bis hin zur Duldung von Rechtsbrüchen,
notwendig, angebracht oder hinnehmbar wären? Etwas,
das in einem Rechtsstaat keine Gruppierung und keine
Interessenvertretung religiöser, ethnischer oder landsmannschaftlicher
Art beanspruchen kann. Signifikante Ausnahme
ist das Verbot der Holocaust-Leugnung, das sich aus unserer
Geschichte ergibt.
Warum also Extrawürste für Muslime?
Ich fürchte, weil man Bedenken hat, ob die Durchsetzung
der Gesetze nicht den inneren Frieden in Gefahr bringt. Ich
fürchte, weil der deutsche Staat Angst hat, eine nicht zur Befolgung
geltender Gesetze bereite Minderheit innerhalb der
muslimischen Bevölkerung zu provozieren. Und ich fürchte,
er hat Angst davor, diese Minderheit zu provozieren, weil er
sich der Reaktion der Mehrheit auf eine solche Provokation
nicht sicher ist. Schlafende Hunde, so stelle ich mir die fatale
Logik der deutschen Exekutive vor, soll man nicht wecken.
Wer in Berlin lebt, der weiß, dass es in dieser Stadt rechtsfreie
Räume gibt. Der wird sich hüten, seinen schwarzen Freund
aus Afrika abends durch Marzahn-Hellersdorf zu führen, weil
er nicht das Risiko eingehen will, von einer Horde Glatzen angepöbelt
oder angegriffen zu werden. Der wird sich auch hüten,
in Neukölln einer arabischen Jugendgang auf ihr „Was guckst
du, Opfer?“ angemessen zu antworten. Die Stadt ist für den,
der es sich leisten kann, groß genug, einen weiten Bogen um
diese Viertel zu machen. Ansonsten heuchelt man sich über
die allseits bekannten Probleme hinweg, sofern man die Mittel
hat. Wenn die eigenen Kinder in der Schöneberger Feurigstraße
von türkischen Halbstarken täglich angepöbelt werden, dann
zieht man eben nach Friedenau. Wenn die Grundschule in dem
Charlottenburger Viertel, in dem man lebt, einen Anteil von
mehr als zehn Prozent muslimischer Schüler hat, dann trennt
sich das Paar eben zum Schein, und die Frau zieht mit dem
Kind ins Westend. Oder man klagt sich sofort in eine Schule
im Grunewald ein.
All das ist menschlich verständlich. Wir wollen alle in Frieden
leben. Wer will von uns verlangen, die Verhältnisse zu ändern,
wenn es so viel bequemer ist, sie zu verleugnen und die eigene
Familie aus ihnen herauszukaufen. Aber der
innere Friede einer Gesellschaft ist immer in
prekärer Balance. Er trägt nur, wenn alle das
Gefühl haben, dass die Lasten, die sie zu
schultern haben, nicht unbillig sind, gemessen
an denen, die den anderen auferlegt sind. Er
trägt nur, wenn der Staat die Ausnahmen
nicht einreißen lässt.
Aber dieser Staat tut sich aufgrund seiner
gleich doppelten diktatorischen Vergangenheit
schwer, sein Gewaltmonopol so durchzusetzen
wie seine demokratischen Nachbarn
und Freunde, bei denen dies zuweilen
mit brutaler Selbstherrlichkeit geschieht.
Diese noch immer nachwirkende Unsicherheit
ob der eigenen Legitimation ist einer
der Gründe für die Angst, gegen Rechtsverletzungen
vorzugehen, wenn diese nicht von
Einzelnen begangen werden, sondern von
identifizierbaren Gruppen, denen es gelingt,
sich als verfolgte Minderheiten zu gerieren.
Eine solche Scheu birgt, so sympathisch
und verständlich sie ist, auch Risiken. Sie
liegen in der politischen Vernachlässigung
der Kleinen und Armen, derer, die nicht die
Mittel haben, in reiche Viertel und reiche
Schulen zu wechseln. Derer, die schon immer
die Zeche bezahlt haben. Und da spielt
es keine Rolle, welcher Ethnie und Religion
sie angehören. Wenn strukturelle Ungerechtigkeit einreißt, leiden
immer die, die die Gesetze befolgen müssen, unter denen,
die sie nicht zu befolgen brauchen. Irgendwann läuft dann
einer Amok.
Es gibt im linken Spektrum der deutschen Politik Einzelne,
scheint mir, die sich selbst als Deutsche und diesen Staat
so sehr hassen, dass sie einen solchen Amoklauf als verzweifelte
Reaktion auf die Selbstabschaffung des staatlichen
Gewaltmonopols und den daraus folgenden Terror der rechtsfreien
Räume geradezu herbeisehnen, um der deutschen Bevölkerung
endlich nachweisen zu dürfen, was sie schon immer
gewusst haben: dass sie nämlich unheilbar rassistisch und faschistisch
sei.
Aber der Fisch stinkt immer vom Kopfe her. Der Bürger ist
fast unendlich geduldig. Erst dort, wo der Staat preisgibt, was
allein und zuvorderst ihn rechtfertigt: die unteilbare Geltung
des Grundgesetzes, der Straf- und Zivilgesetze und deren
Durchsetzung, erst dort, wo der Bürger erkennen muss, dass
„Vater Staat“ ihn betrügt und ihm keine Rechtssicherheit garantiert,
erst dort wird er nach Alternativen suchen.
Heinz Buschkowsky schreibt in seinem Buch über die deutschen
Neuköllner, die von muslimischen jungen Männern gemobbt
werden: „Das ist es, was die Leute fragen lässt: Wo bin
ich denn hier eigentlich? Ist das noch meine Stadt, meine Heimat?
Deswegen kommen viele irgendwann zu dem Schluss:
Ich mag diese Menschen nicht. Sie wollen mit mir nicht leben,
dann will ich es mit ihnen auch nicht.“
Die Regeln des Rechtsstaates und die Durchsetzung dieser
Regeln sind zumutbar, die ausnahmslose Durchsetzung dieser
Regeln ist Voraussetzung für den inneren Frieden. Wer immer
glaubt, aufgrund seiner ideologischen oder religiösen Überzeugungen
oder aufgrund seiner physischen oder sozialen Machtposition
von der Einhaltung dieser Regeln entbunden zu sein,
muss die Konsequenzen zu spüren bekommen. Andernfalls ist
dieser Staat wie jeder Staat, der sein Gewaltmonopol aufweicht
oder aufgibt, in Gefahr, vom Zentrum her wegzufaulen.


Kleeberg, 53, ist Schriftsteller und Essayist. Zuletzt erschien
von ihm der Roman „Das amerikanische Hospital“.
DER SPIEGEL 39 / 2012, S. 158/159

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