Author Topic: Der unheilige Zins  (Read 299 times)

KarlMartell

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Der unheilige Zins
« on: October 28, 2012, 12:10:01 pm »
Der unheilige Zins

ORTSTERMIN: In Dortmund macht ein Konvertit Bankgeschäfte im Sinne des Propheten.

Zins ist Wucher, sagte einst Mohammed,
der Prophet. Zins ist Geld
fürs Nichtstun, ein unfaires Geschäft
mit den Schulden anderer, sagt
Daoud Kremer, der Verkäufer.
Er öffnet die Hände, schlägt die Hände
wieder zu. Verkäufergestik. Er lehnt sich
in seinem Drehstuhl zurück und erzählt,
wie er mal in einer Bank arbeitete, Muslim
wurde und den Job kündigte, weil das Geschäft
mit der Gier nicht zu seiner Religion
passte. Mit Allahs Hilfe, sagt er, habe er
dann dieses Unternehmen geschaffen. „Ihr
wisst ja, wenn Allah eine
Tür zumacht, macht er ganz
viele Türen auf.“
In Verkäuferkleidung,
Anzug und Hemd, sitzt der
27-Jährige mit schwarzem
Bart vor einem weißen
Laptop. Grüne Kunstblumen,
grüne Kerzen, grüne
Kaffeemaschine, Business-
Magazine, ein Koran. „My
Islamic Banking“ steht in
grüner Farbe an der weißen
Wand, ein Finanzunternehmen
in Dortmund, im
Ausländer-Arbeiterviertel
Nordstadt. „Muslimische
Straße“, sagt Kremer, „da,
wo der Kunde ist.“
Der Verkäufer preist Finanzprodukte
für Muslime
an: Solar-Investments, Goldsparpläne,
islamische Fonds.
Erst gab ihm Allah Hilfe,
jetzt macht Allah die Regeln.
Zinslos muss es sein, so befiehlt es der
Koran: „Diejenigen, die Zinsen verschlingen,
sollen nicht anders dastehen als wie
einer, der vom Satan erfasst und zum
Wahnsinn getrieben wird.“ Sure 2, Vers
275. Sonst drohe Krieg von Allah und Seinem
Gesandten. Vers 279.
Das Geschäft, sagt Kremer, soll fair
zugehen. Beim Geschäft, kann man sagen,
wird geschickt getrickst. Beispiel
Hauskauf: Die Bank gibt kein verzins -
liches Darlehen, sie kauft das Haus erst
selbst und verkauft es dann mit einem
Aufschlag weiter. Aktienhandel ist erlaubt,
aber keine Investitionen in Waffen,
Glücksspiel, Pornografie oder Schwei -
nefleisch. Haram – ist verboten –, sagt
Kremer.
Vor seinem Schreibtisch sitzen die Käufer,
eine vierköpfige Familie. Der Vater:
ein Deutscher, vor 18 Jahren konvertiert.
Die Mutter: inzwischen eine Deutsche,
geboren in der Türkei. Zwei Mädchen:
neun und zwölf.
In 25 Jahren, sagt der Vater, ist er 65
und will eine vernünftige Altersvorsorge
haben. In frühestens 10 Jahren heiraten
seine Töchter, dafür muss er sparen, und
seiner Frau will er auch mal eine Küche
schenken, und er selbst will auch nicht
zu kurz kommen, mal ’nen schönen Wagen
fahren, am liebsten Porsche, sonst Audi.
Seit Juni hat er wieder einen Job, unbefristet.
Vier Jahre lang war er arbeitslos,
weil niemand einen wollte, der Bart trägt,
fünfmal am Tag betet und am Freitag in
die Moschee geht. Sein Chef ist jetzt Muslim,
im Betrieb gibt es einen Gebetsraum.
„Wir wollen was anlegen“, sagt der
Mann, „Geld zu Gold machen.“ Die Verwandten
in der Türkei, sagt die Frau, hätten
auch alles in Gold umgewandelt,
„man geht ja nicht dran, wenn’s Gold ist“.
Kremer versichert, dass das Gold-Geschäft
sicher, flexibel und halal ist. Halal,
also erlaubt im Sinne Gottes, „wir kaufen
etwas Körperliches, reale Werte“. Ein
Islamgelehrter hat das überprüft. Das
Scharia-Zertifikat aus Dubai hängt an der
Wand. „Mit dem Geld, das ihr spart, kaufen
wir Gold in Dubai, das kommt nach
Frankfurt, in einen Hochsicherheitstresor.
Ihr könnt es euch holen, oder ihr schaut
online, wie viel Gramm euch gehören.“
Die Kunden nicken, und Kremer sagt,
dass das ja auch nach dem Vorbild des
Propheten Jussuf sei: in guten Jahren für
die schlechten vorsorgen. Was er nicht so
genau sagt: dass der Goldpreis Anfang
der Achtziger abstürzte, dass er vielleicht
jetzt, nach zehn Jahren Höhenflug, einen
Höchststand erreicht hat und wieder fallen
könnte.
1800 Euro verdient der Kunde im Monat,
bleiben 1420 Euro netto, plus Kindergeld,
plus Wohngeld, plus
Minijob-Geld der Frau. Minus
Miete, Sprit, Essen,
Strom. Macht erst mal 150
Euro im Monat zum Sparen,
macht am Ende knapp
1060 Gramm Gold. Rechnet
der Verkäufer aus.
Knapp sechs Prozent verdiene
seine Firma am Geschäft,
dazu äußert sich der
Koran nicht.
Der Islam war Kremers
Lösung, als er sich nach
dem Abitur Sinnfragen
stellte: Er ging zunächst in
die Kirche, probierte Bud -
dhismus aus und fand Antworten
in der Moschee.
Nächstenliebe, Gerechtigkeit,
das hatte er so noch
nicht erlebt.
Mit diesen Begriffen will
er jetzt Geschichte schreiben:
Daoud, auf Deutsch
David, kämpft gegen Goliath, das Zinssystem.
So sieht er das. Kämpft für ein
System ohne Habgier, inschallah. Ein System,
mit dem es die globale Finanzkrise
nicht gegeben hätte: keine Spekulation,
keine Wetterei, keine Blase.
Allahs Geldinstitute sind in den vergangenen
Jahren kräftig gewachsen.
Rund 700 Milliarden Dollar sind weltweit
korankonform angelegt. Aber Immobilienblasen
in Dubai konnte Allah auch
nicht verhindern.
Kremer druckt die Sparverträge aus,
die Kunden unterschreiben, dann legen
sie Teppiche aus und beten gen Mekka.
Zum Abschied überreicht Herr Kremer
der Familie eine Fußmatte, Kokosfaser,
„Kein Zins in meinem Haus“ steht darauf.
600 Matten hat er erst einmal bestellt.
SONJA HARTWIG

SPIEGEL 44/2012, S. 59

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