Author Topic: Eskandari-Grünberg über Iran  (Read 279 times)

KarlMartell

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Eskandari-Grünberg über Iran
« on: October 31, 2012, 11:14:00 pm »
Nargess Eskandari-Grünberg (1) ist eine deutsche, grüne Kommunalpolitikerin. Sie engagiert sich gegen das naziranische Terrorregime. Bei „FAZ.net“ gab es am 27. Oktober ein ausführliches Interview mit ihr.

Einerseits kann man ihr sicher vorwerfen, dass sie bei den grünen Vaterlandsverrätern mitmacht, andererseits hat sie vermutlich grade dort die besten Aufstiegschancen, und es ist ja vielleicht auch nicht schlecht, wenn sie dort counterjihadische Gedanken einbringt.

Das Gespräch mit ihr führten Philip Eppelsheim, Friederike Haupt und Volker Zastrow.

_____

Ich kenne nur die Stimmen

Frau Eskandari-Grünberg, dürfen wir Sie auf Ihre Zeit im Evin-Gefängnis in Teheran ansprechen?

Der Anlass unseres Gesprächs ist das Iran-Tribunal in Den Haag, zu dem ich morgen fahre. Für mich ist es sehr wichtig zu sagen, warum dieses Tribunal stattfindet. Denn ich habe das Gefühl, dass in Deutschland über die Verbrechen in Iran nicht offen gesprochen wird. Das Tribunal ist eine Demonstration gegen Menschenrechtsverletzungen, die seit Jahrzehnten stattfinden. Es geht nicht um mich. Ich nehme daran nicht als Privatperson, sondern als Politikerin teil. Wir setzen ein Zeichen.

Und doch sind Sie persönlich betroffen. Wie kam es dazu, dass Sie verhaftet worden sind?

1979 war ich sehr jung, eine Schülerin. Ich hatte gegen das Schah-Regime demonstriert. Viele Kinder waren damals sehr engagiert, oft 14 oder 15 Jahre alt. Wir kämpften für die Freiheit, doch unsere Hoffnungen blieben Illusion, das Chomeini-Regime setzte sich nicht für Freiheit ein. Ganz im Gegenteil. Sehr früh begannen die neuen Machthaber, Oppositionelle zu verhaften. Und die politischen Gefangenen waren sehr jung, im Durchschnitt 16 oder 17. Viele Mädchen, junge Frauen, die auf die Straße gingen, sich engagierten, wurden festgenommen.

Was haben Sie gemacht?

Ich war auch auf diesen Demonstrationen. Ich habe Flugblätter verteilt, bin in Schüler- und Studentengruppen aktiv gewesen. Wir hatten Angst vor Zwangsverschleierung, kämpften für Frauenrechte. Wir sind auf die Straße gegangen, damit die Frauen frei sind. Und genau wir waren die Menschen, die am meisten verfolgt worden sind.

Wie alt waren Sie zu dieser Zeit?

Siebzehn.

Wer hat Ihre Aktionen organisiert? Waren das die Mädchen selbst? Ging es von den Lehrern aus?

Da war diese Atmosphäre im Land, noch aus der Schah-Zeit. Viele Gruppen waren in Iran aktiv. Die meisten, auch die, zu denen ich gehörte, waren linke Organisationen. Sozialistische, kommunistische und atheistische Gruppen. Ich bin privilegiert aufgewachsen, ging auf eine Privatschule. Eigentlich denkt man, die Armen gehen auf die Straße, aber so war es nicht. Einige Lehrer haben uns unterstützt. So haben wir demonstriert – erst gegen den Schah, dann gegen das islamische Regime.

Waren Ihre Eltern damit einverstanden?

Meine Eltern waren überhaupt nicht einverstanden. Ich stamme aus einer akademisch geprägten Familie. Meine Eltern waren nicht religiös. Sie waren sehr gegen die islamische Regierung. Der größte Gegner war mein Vater.

Hat er Ihnen verboten, auf die Straße zu gehen?

Die Eltern waren damals entmachtet. Die Eltern konnten gar nicht mehr sagen, was die Kinder machen sollten. Die Welle war so stark. Die Bilder des arabischen Frühlings haben mich an diese Zeit erinnert. Quasi alle sind auf die Straße gegangen. Eltern konnten nicht sagen: Wir lassen unsere Kinder nicht auf die Straße. Obwohl das sehr gefährlich war.

Warum wurden Sie festgenommen?

Ich war in dieser politischen Gruppierung aktiv und wurde immer aktiver. Eine der Frauen – sie hatte eine kleine Tochter – wurde inhaftiert. Sie hat unsere Gruppe verraten, als sie gefoltert wurde. Dann kamen die Wächter und haben auch mich festgenommen.

Auf der Straße?

Nein, das war in einer Wohnung.

Im Elternhaus?

Nein, ich wohnte mit einer Gruppe von Studenten zusammen.

Wie lief die Festnahme ab?

Ganz schrecklich. Es war persisches Neujahr. März. Ich war auf der Straße. Ich weiß nicht mehr genau, wo ich war, ob ich irgendwo zu Besuch war. Als ich zurückkam, waren zwanzig Revolutionswächter in der Wohnung. Ich bin reingekommen und habe mich erschrocken.

Was haben die Wächter getan?

Sie haben die ganze Wohnung durchsucht, sie auf den Kopf gestellt. Sie haben alle Schränke aufgemacht, die Schubladen aufgerissen, die Klamotten auf den Boden geschmissen.

Haben sie herumgeschrien?

Ich weiß nicht. Es war so eine unheimliche Angst im Raum. Sie standen da mit den Waffen. Eine Mitbewohnerin musste an der Wand stehen, und die Wächter haben mit dem Verhör angefangen. Sie haben Fragen gestellt, uns vernommen.

Haben die Wächter Sie geschlagen?

In diesem Moment nicht. Sie haben zu mir gesagt, ich solle einen Schleier holen. Ich habe gesagt: Ich besitze keinen Schleier. Dann haben sie gesagt, ich solle ein Kopftuch holen. Ich hatte aber auch kein Kopftuch. Bei den Wächtern waren auch Frauen. Sie waren grob und schrecklich.

Mussten Sie sich etwas um den Kopf binden?

Ich habe irgendwann ein Kopftuch bekommen. Ich glaube, dass es eine Wächterin war, die mir ein Tuch gegeben hat.

Was heißt grob und schrecklich?

Sie waren beleidigend, erniedrigend. Sie haben uns beschimpft.

Was war der Vorwurf? Dass Sie gottlos waren?

Das erste, das sie wissen wollten, war, wo die anderen Studenten waren.

Schon in der Wohnung?

Schon in der Wohnung.

Wie viele von Ihnen waren in der Wohnung?

Mit mir nur noch eine weitere junge Frau.

Wie viele wohnten insgesamt dort?

Vier Leute.

Wie lang ging das in der Wohnung, dieses Verhören und Beleidigen?

Vielleicht eine Stunde, ich weiß es nicht. Es war eine Schocksituation. Das ist das Trauma meines Lebens. Ich hatte das nicht erwartet. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so etwas passiert. Ich war noch so jung, 17, da erwartet man so eine Gefahr überhaupt nicht. Es war die erste große Verhaftungswelle. Man hat immer wieder gehört, dass der eine oder andere festgenommen worden war, aber man wusste es nicht genau. Vielleicht wollte man es auch nicht ernst nehmen.

Haben Sie die Islamische Revolution zunächst begrüßt oder waren Sie misstrauisch?

Meine Eltern waren sehr misstrauisch. Mein Vater sagte: Den Mullahs kann man nicht trauen. Ihr Kinder werdet es sehen. Diese Mullahs predigen jetzt die Demokratie, aber sobald sie an der Macht sind, werden sie es euch zeigen. Ich glaube, das waren die ersten Worte, die ich von meinem Vater dazu gehört habe. Aber ich habe gesagt: Das stimmt überhaupt nicht. So viele Menschen, so viele politische Gruppen sind auf der Straße. Freiheit war der Motor aller Demonstrationen. Das war spannend. Erst später kamen die ganzen islamischen Verbote.

Wissen Sie, was damals hier in Deutschland und Westeuropa los war? Chomeini hatte einen unglaublichen Rückenwind, auch von der Linken. Damals erschien in der (kommunistischen, T.) Zeitschrift „konkret“ ein langer Artikel.

Richtig.

Ein preisgekrönter Journalist ist nach Iran gereist und hat sich das Evin-Gefängnis zeigen lassen.

Ja.

Er hat darüber geschrieben, wie toll es dort war.

Ich weiß. Ja, ich weiß. Während meiner Haftzeit kamen häufig Delegationen aus Europa und haben die Gefängnisse besucht. Uns sahen sie nicht, sie bekamen die Vorzeige-Gefangenen zu sehen. Die Teile des Gefängnisses, in denen die Folter stattfand, wurden nicht gezeigt. Dort waren in den Einzelzellen fünf bis sechs Gefangene, mit einer Toilette. In den großen Zellen von 20 Quadratmetern waren siebzig Gefangene – Frauen mit Kindern. Ältere Frauen. Sie konnten noch nicht einmal ausgestreckt schlafen. Sie müssen sich vorstellen, es gab einen Spruch. Man hat gesagt: Zieh die Beine zusammen. Denn wenn man seine Beine ausgestreckt hat, konnte der andere nicht schlafen. Und in der Einzelhaft gab es gar keinen Platz, sich hinzulegen oder auch nur hinzusetzen. Sehr viele Gefangene waren monatelang in dieser Einzelhaft. Diese Delegationen aus Europa, die bis heute Iran besuchen, haben nie wirklich einen Zugang zu den Gefängnissen. Einige Gefangene wurden vorgeführt auf einer kleinen Wiese. Die Delegationen haben die Gefängnisse nie wirklich gesehen.

Können Sie das Gefängnis beschreiben?

Ich kann selbst nicht sagen, wie das Gefängnis aussieht. Die meisten Gefangenen sind mit verbundenen Augen dorthin gebracht worden, und auch im Gefängnis blieben die Augen verbunden. Wenn sie die Zelle verlassen haben, hatten sie immer verbundene Augen. Sie sollten nicht erkennen, wie das Gefängnis aussieht. Und die Männer, die verhört oder gefoltert haben, sollten nicht erkannt werden. Ich kann mich sogar an eine Szene mit einer solchen Delegation erinnern. Eine Gefangene hat laut geschrien. Sie dachte, dass die Delegierten sie vielleicht hören würden, vielleicht kommen und sehen, was passiert. Sie sagen, die Gefängnisse wurden als so toll beschrieben. Das Regime hat sich in den ersten Jahren als sehr moderat dargestellt. Es wurde verschwiegen, was in den Gefängnissen passiert. In der ersten Verhaftungswelle sind zwischen 3000 und 5000 Menschen hingerichtet, ermordet worden. Im Gefängnis hat man tagtäglich die einzelnen Schüsse gehört. Manchmal hat man gezählt, wie viele Menschen in einer Nacht ermordet worden sind.

Als Sie selbst im Gefängnis waren?

Ja, als ich im Gefängnis war. Man konnte in der Nacht zählen: eins, zwei, drei. Zwanzig. Wenn junge Menschen aus der Zelle geholt wurden, wusste man nicht, ob sie verhört wurden – oder am nächsten Tag nicht mehr zurückkamen. Manchmal ist man morgens aufgestanden und derjenige, der in der Nacht neben einem gelegen hatte, war abgeholt und ermordet worden. Diese Frauen hatten nie Gerichtsprozesse, es gab nie ein Urteil. Sie wurden einfach abgeholt und ins Gefängnis gesteckt. Unter ihnen waren viele Jungfrauen. Im Islam besteht ein Gesetz: Jungfrauen dürfen nicht hingerichtet werden. Es gibt eine Studie darüber. Das sind Interviews mit Eltern, aber auch mit Frauen, die in iranischen Gefängnissen missbraucht worden sind. Die Jungfrauen, die man hinrichten wollte, wurden zuvor mit Wächtern verheiratet. Sie wurden vergewaltigt, damit sie keine Jungfrauen mehr waren. Man hatte Spaß mit ihnen. Sie wurden gefoltert. Am nächsten Tag wurden sie ermordet. Ihre Leichen schickte man zusammen mit einer Süßigkeit als verheiratete Frau zu ihren Eltern. Das Tribunal in Den Haag: das heißt für mich, dass die Opfer jetzt Gehör finden. Dass über ein Verbrechen gesprochen wird, über das viele nicht gesprochen haben. Viele Familien haben nicht über das geredet, was ihren Kindern, ihren Töchtern passiert ist. Wir wissen bis heute nicht, was in kleinen Städten und Orten genau geschehen ist. Es drang nie nach außen, was sich in diesen Gefängnissen abgespielt hat. Es war eine große systematische Verfolgung. Es waren Folter und Verbrechen, und sie haben sich in den iranischen Gefängnissen immer weiter entwickelt. Das ist dem Ausland verborgen geblieben.

Kamen Sie nach Ihrer Festnahme sofort ins Gefängnis?

Ich bekam wie alle anderen Gefangenen eine Augenbinde. Dann wurde ich in ein Auto gesteckt und ins Gefängnis gebracht. Erst dort merkt man dann, wo man eigentlich ist.

Die Augenbinde wurde dann in der Zelle abgenommen?

In der Zelle haben sie die Augenbinde abgenommen.

Waren Sie da allein?

Es waren fünf andere mit in der Zelle.

Fünf andere Frauen?

Ja.

Wie sah diese Zelle aus?

Sie hatte vielleicht sechs Quadratmeter.

Was stand in der Zelle?

Eine Toilette und ein Waschbecken.

Gab es ein Fenster?

Ein kleines vergittertes Fenster, vielleicht 25 mal 25 Zentimeter. Im Evin-Gefängnis gab es keine Betten. Die Menschen haben auf dem Boden geschlafen. Sechs Personen auf sechs Quadratmetern.

War es ein Steinboden?

Ja.

Was für Frauen waren in der Zelle? Schülerinnen wie Sie?

Die Älteste, glaube ich, war 21 oder 20. Die meisten waren Schülerinnen. Drei von ihnen waren schwer verletzt. Sie waren gerade gefoltert worden. Die iranische Methode der Folter war, dass den Frauen auf die Füße geschlagen wurde. Man hängte sie kopfüber auf, fixierte sie und schlug sie. Die drei Frauen hatten stark angeschwollene Beine. Sie bluteten.

Waren das Stockschläge?

Nein, sie schlugen mit einer Peitsche auf die Fußsohle. Es gab einen Spruch in den iranischen Gefängnissen: Die Füße sind das zweite Gedächtnis. Menschen, die andere während der Folter verraten haben, sagen, dass ihre Füße sie jedes Mal daran erinnern.

Sie müssen ja Todesangst gehabt haben.

Ich glaube, man hatte überhaupt kein Gefühl.

Man wird paralysiert.

Ja, man ist paralysiert. Ich weiß, dass es eine lange Strecke war, die das Auto bis zum Gefängnis fuhr. Man hatte eine Augenbinde, wusste nicht, wohin man gebracht wurde. Man wusste nur, dass alles sehr bedrohlich ist. Ich glaube, man hat überhaupt kein Gefühl in dem Moment. Man weiß ja nicht, was geschieht. Das ist auch sehr ähnlich, wenn man dann im Gefängnis ist. Es ging erst einmal darum, sich überhaupt zu orientieren. Das Erste, was schlimm für mich war: dass ich vor fünf anderen auf die Toilette gehen musste. Dann sitzen da fünf Frauen und man selbst weiß nicht, wie man auf die Toilette gehen soll. Da ist dieses Schamgefühl. Man fragt sich: Wo bin ich? Was passiert jetzt? Ich glaube, dass viele Menschen unglaublich erniedrigt worden sind. Ich hoffe, dass jetzt in Den Haag die Menschen über ihre Gefühle reden.

Gefühle, die schmerzen.

Die Methode des iranischen Regimes ist, dass man keine Persönlichkeit mehr hat. Dass man keine Frau mehr ist, dass man kein Geschlecht mehr hat, dass man einfach kein Mensch mehr ist. Das erreicht das Regime durch unglaubliche Angst, durch Folter, durch Verhörmethoden. Das war sehr systematisch. Man hat die Menschen gebrochen. Am Ende haben sie keine Identität mehr. Das ist das, was die iranische Regierung macht. In der Schah-Zeit gab es politische Gegner. Doch nun hieß es: Ihr seid die Gottlosen, die Kuffar. Ihr glaubt nicht, ihr verratet den Islam. Die Gottlosen mussten vernichtet werden. Das war das Motto. Das war das große Verbrechen.

Hat man Sie im Gefängnis gebrochen?

Nein. Ich glaube, vielleicht kann man sagen – ich denke darüber nach, mit welchem Gefühl ich zu dem Iran-Tribunal fahre. Ich fahre als Politikerin. Als eine Frau, die mit erhobenem Kopf sagen kann: Dem iranischen Regime ist es nicht gelungen, alle Gefangenen zu brechen. Aber es hat geschafft, dass viele, viele Menschen traumatisiert sind. Es gab schon damals 30.000 bis 50.000 Gefangene. Viele träumen nach 28 Jahren noch immer von dem Gefängnis, von der Verfolgung, von Folter. Doch vor allem gibt man die Hoffnung nicht auf, dass diese Verbrecher irgendwann bestraft werden.

Träumen Sie selbst noch von dieser Hölle?

Träume ich davon? Ich bin keine Ausnahme. Ja.

Können Sie vielleicht beschreiben, wie so ein Tag im Gefängnis ablief?

In den ersten drei Monaten ist man in Einzelhaft. Man wird verhört. Man kann um zwei Uhr in der Nacht verhört werden, um drei Uhr, um fünf Uhr. Man kann vier Stunden auf dem Flur auf dem Boden sitzen. Man kann zur Zeugin gemacht werden, wie ein anderer gefoltert wird. Die ersten drei Monate gibt es gar keinen Ablauf. Abends gibt es Essen. Man hört ständig Schreie von den anderen, die gefoltert werden. Man hört die Hinrichtungen im Hinterhof. Man hat kein Gefühl von Tag und Nacht.

Was wurde in den Verhören gefragt?

Wissen Sie, das ist für mich ein bisschen seltsam, dass ich jetzt so viel über meine persönliche Situation reden soll. Ich finde es schwierig, dass meine Person jetzt im Fokus ist. Das ist sehr persönlich. Mir geht es ganz allgemein darum, was in den Gefängnissen passiert ist, nicht um Details, die ich selber erlebt habe. Das ist mir einfach zu persönlich. Mir geht es um die gesamten Erfahrungen der Menschen. Ich möchte nicht als Einzelperson in den Blick gerückt werden, ich sehe mich als ein Beispiel. Auch als Sprachrohr, in meiner Funktion als Politikerin, um ein Zeichen zu setzen, um zu sagen, worüber in Europa nie gesprochen worden ist. Das soll in diesem Tribunal in Den Haag verdeutlicht werden. Da sind mir diese ganzen Details zu persönlich. Ich kann das sagen, aber jetzt merke ich, dass es mir einfach zu persönlich ist.

Durch das, was Sie erzählen, erfährt man, wie es wohl vielen ergangen ist.

Ja. Es gibt sehr viele unterschiedliche Erfahrungen. Aber das Gemeinsame ist, dass der Mensch keinen Wert hat in den Gefängnissen in Iran. Frauen mussten ein Kopftuch tragen, aber ihre Beine waren bis oben hin nackt. Denn da wurden sie geschlagen. Also: Bedeck deinen Kopf, aber mit deinen nackten Beinen haben wir kein Problem. Die Verletzung der Menschenwürde in diesen Gefängnissen – das ist es, worüber heute nicht gesprochen wird. Ich habe das selbst nicht mehr erlebt, aber in den Gefängnissen haben sie die Methoden der Folter immer weiter verändert. Man hat zum Beispiel die Gefangenen monatelang in einen Sarg gesteckt. Um ihren Willen zu brechen. Man denkt: Wie kann ein Mensch monatelang in einem Sarg sein, ohne sich bewegen zu können? Man hat ihnen was in den Mund gesteckt, dadurch bekamen sie Essen. Es gibt unglaublich eindringliche Berichte darüber. Auch darüber, dass Menschen dadurch gebrochen worden sind, nicht mehr weiter konnten.

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KarlMartell

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Re: Eskandari-Grünberg über Iran
« Reply #1 on: October 31, 2012, 11:17:02 pm »

Hatten die Gefangenen die Möglichkeit, Kontakt nach außen aufzunehmen?

In den ersten drei, vier Monaten gar nicht. Da wurden sie gefoltert, und kein Kontakt nach außen war erlaubt. Man durfte nicht einmal telefonieren und den Eltern sagen: Ich bin inhaftiert worden. Die Eltern wussten nicht, wo ihre Kinder sind. Nachdem die erste Zeit der Verhöre und Folter vorbei war, durfte man anrufen. Manchmal durften die Eltern ihre Kinder im Gefängnis besuchen. Hinter einer Glasscheibe sahen sie sie für fünf Minuten und konnten durch einen Hörer mit ihnen sprechen. Gefangene durften auch an die Eltern schreiben – vier Zeilen.

Was sagt man den Eltern, wenn man sie wiedersieht?

Erst mal ist man sprachlos. Alle Gefangenen stehen hinter der Scheibe, auf der anderen Seite stehen die Eltern, die weinen, wenn sie ihre Kinder sehen. Die meisten Gefangenen hatten verletzte Beine. Die Glasscheibe reichte aber nur bis zur Brust herab. Die Eltern konnten also nicht sehen, was mit ihren Kindern war. Die kamen alle humpelnd rein. Manche Gefangene wurden so stark geschlagen, dass sie keine Haut mehr unter den Fußsohlen hatten. Ein Arzt, der selbst Gefangener war, hatte eine Methode entwickelt, die Haut von anderen Körperteilen Gefangener zu entfernen. Die Haut hat er an der Fußsohle wieder angenäht. Wenn Sie heute Bilder dieser Gefangenen sehen, fällt Ihnen auf, dass sie riesige Flecken und Narben an verschiedenen Stellen ihres Körpers haben, dort, wo die Haut entfernt wurde.

Sie selbst sind ins Gefängnis gekommen, weil jemand Sie unter Folter verraten hat. Sind Sie böse auf diese Person?

Überhaupt nicht.

Kann man unter solchen Verhörmethoden überhaupt widerstehen? Ist es möglich, sich zu wehren?

Ich habe niemanden verraten.

Aber Sie sind trotzdem nicht böse auf diese Person?

Nein. In Iran nennt man diese Menschen Tawab. Das sind diejenigen, die brechen. Sie werden quasi Mittäter im Gefängnis. Und es gibt unterschiedliche Grade von Tawabs. Da waren die, die gefoltert worden sind und irgendwann nicht mehr konnten und eben aussagten. Dann diejenigen, die, nachdem sie gebrochen worden waren, mitgemacht haben: bei der Essensausgabe zum Beispiel, und sie haben strenge Anweisungen weitergegeben. Ich bin überhaupt nicht böse. Ich habe über diese Sache viel geforscht und geschrieben. Ich denke, diese Menschen waren selbst Opfer. Der Mensch weiß nie, wo seine Grenze ist. Wie weit kann man gehen, was hält der Körper aus? Und es gibt Menschen, die nicht mehr können. Die Frau, die mich verraten hat, ist später hingerichtet worden. Ich habe diese Frau getroffen im Gefängnis. Es gab manchmal eine Versammlung der Gefangenen. Da durfte man die Augenbinde abnehmen, und ich habe diese Frau wiedererkannt. Sie konnte kaum mehr laufen. Sie hat unter Tränen gesagt: Verzeih mir. Und ich habe in diesem Augenblick das Gefühl gehabt, dass es nichts zu verzeihen gibt. Es gibt nur einen, dem man nicht verzeihen kann, und das ist das iranische Regime. Diese Menschen im Gefängnis sind Opfer.

Wie schafft man es in diesen Verhören, zu widerstehen?

Ich weiß nicht, wie. Menschen sind unterschiedlich. Ich kann für mich sagen: Mir war wichtig, dass kein Mensch durch mich in die Situation kommt, die ich gerade selbst erlebe. Da gab es keine Ideologie, keinen politischen Willen. Das spielte plötzlich keine Rolle mehr.

Gab es auch Gefängniswärter, die menschlich gehandelt haben? Die versucht haben, ein bisschen Menschlichkeit in den Alltag zu bringen?

Ich glaube, die Wärter haben verschiedene Rollen gespielt. Es waren ja alles Männer. Sie haben sich gegenseitig Bruder genannt, und die Frauen waren die Sklaven. Entschuldigung, aber es war so. Und die Brüder haben alle einen bestimmten Ruf gehabt: Dieser Bruder ist besser, dieser andere Bruder ist ganz schrecklich. Das war ein Spiel unter ihnen, glaube ich, dass einer sagte: Ich bin nett und bringe dir ein Glas Wasser. Und der andere kommt und schlägt einem auf den Kopf.

Das ist alles sehr lange her. Doch Sie sagen, es hat nicht aufgehört. Woher wissen Sie das?

Ich weiß es, weil immer noch Menschen aus Iran flüchten, die in den Gefängnissen waren. Immer noch kommen Flüchtlinge nach Deutschland, immer noch werden junge Leute inhaftiert. Allein nach der sogenannten Grünen Revolution in Iran vor zwei Jahren wurden sehr viele verschleppt. Sie berichten von denselben Zuständen im Gefängnis, wenn nicht noch schlimmeren. Ich habe in meiner psychotherapeutischen Praxis Patienten, die in den letzten Jahren geflüchtet sind und die im Gefängnis waren. Sie sagen, dass die Folter genauso, wenn nicht noch schlimmer. . .

… verfeinert wurde?

Systematisiert. Ich frage mich häufig, woher sie die vielen Methoden kannten. Die haben sehr systematisch verhört.

Was glauben Sie, woher die Folterer ihre Methoden kannten?

Es gab ein Gerücht, das ich nicht bestätigen kann. Man sagte, der Savak habe mitgemacht. Das war bis 1979 der iranische Geheimdienst. Sehr viele alte Savakis hätten bei den Verhören geholfen. Aber ich habe auch das Gefühl, die haben sich immer weiterentwickelt, immer neue Folter- und Verhörmethoden erfunden. Immer neue Arten, den Menschen zu quälen und zu brechen. Es hat nicht aufgehört. Ich glaube, allein die Angst hat die Grüne Revolution erstickt. Leute haben sich unter die Demonstranten gemischt und ihnen Messer in den Bauch gesteckt, einfach so, immer wieder. Viele sind abgeholt worden und nie wieder zurückgekommen.

Was müsste passieren, damit es irgendwann doch einmal aufhört?

Als Politikerin ärgere ich mich seit Jahren. Über das Atomprogramm wird ständig geredet, ob die iranische Regierung eine Atombombe hat oder dieses oder jenes hat, oder welche Rolle Iran im Nahen Osten spielt. Deutschland ist eines der wichtigsten Importländer für Iran, auf dem dritten Platz, seit Jahren. Aber Menschenrechte spielen in der Außenpolitik fast keine Rolle. Tribunale wie das in Den Haag sind ein Zeichen: dass über die Verbrechen geredet wird und dass die Verbrecher bestraft werden sollen. Ich glaube, dass die Menschen, die nach Den Haag kommen, zwei Hoffnungen haben: Erstens, das Schweigen zu brechen, über das zu reden, worüber auch aus Scham und aus Angst seit Jahren nicht geredet wird. Und zweitens will man zeigen, dass Demokratie nicht durch Einmarschieren geschaffen werden kann. Man muss sich für Menschenrechte einsetzen. Damals wäre es für uns gut gewesen, wenn jemand gesagt hätte: Politische Gefangene müssen befreit werden. So geht es heute vielen Menschen, die Opfer von Folter und Verfolgung sind. Es muss ein Zeichen gesetzt werden, dass diese Menschen nicht ihre Jugend, ihre besten Jahre im Gefängnis oder auch nur in Angst verbringen müssen. Ich bin Politikerin geworden, um für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie zu kämpfen.

Wie kamen Sie aus dem Gefängnis heraus?

Die haben mich gerufen und vor ein Pseudo-Gericht gebracht. Da wurde gesagt, dass sie bis jetzt noch nichts gefunden haben. Ein paar Monate vorher hatte ich mein Todesurteil unterschreiben müssen. Ich musste unterschreiben, dass ich, falls sie irgendetwas herausfänden, hingerichtet werde. Aber auch nach eineinhalb Jahren haben sie nichts gefunden. Und so durfte ich das Gefängnis auf Bewährung verlassen. Vielleicht habe ich mich selbst gerettet, indem ich niemanden verraten und ihnen keine Informationen gegeben habe. Ich hatte großes Glück, dass außer dieser einen Frau niemand gegen mich ausgesagt hat. Denn das hatte ja System im Gefängnis, einer hat den anderen verraten. Nun, nach der Entlassung, hieß es: Sie müssen sich einmal im Monat melden. Und wenn wir was Neues finden, werden Sie wieder inhaftiert. Mir war klar, dass ich in diesem Land nicht mehr leben kann.

Wie lange sind Sie dann noch geblieben?

Fast zehn Monate.

Und hatten eine kleine Tochter.

Ja.

Wie haben Sie sich in dieser Zeit verhalten?

Ich hatte das Gefühl, dass unser Haus immer beobachtet wird und dass ich ständig verfolgt werde. Auf Schritt und Tritt, egal, wo ich hinging. Immer, wenn es an der Tür klingelte, hatte ich Angst, dass sie kommen. Sie hatten mich auch noch einmal sehr kurz, für zwei Tage, inhaftiert. Sie haben gesagt, sie hätten wieder etwas gefunden. Dann haben sie eine sehr große Summe Geld von meinem Vater gefordert, und als sie die hatten, haben sie mich wieder freigelassen. Im Prinzip hatte ich jeden Tag Angst, dass sie wiederkommen und einen mitnehmen. Und die Erfahrung gab es ja auch. Sehr viele, die freigelassen worden waren, wurden kurz darauf wieder festgenommen, weil irgendjemand sie verraten hat. Oder was auch immer.

Konnte man das Land denn einfach so verlassen?

Ich durfte das Land nicht verlassen.

Wie sind Sie rausgekommen?

Mit gefälschten Papieren. Das einzige Land, das ein Visum verkauft hat, für 20 000 Toman oder so was, war Deutschland. Damit und mit den gefälschten Papieren bin ich aus Iran geflohen.

Woher hatten Sie die Kontakte, dass Sie an gefälschte Papiere kamen?

Wenn Sie Geld zahlen, finden Sie schon irgendwie jemanden. Da hatte jemand einen Bekannten, der hatte noch einen Bekannten, und so fanden Sie dann den Händler. Man fragte rum.

Nun sind Sie schon lange hier. Aber die Narben bleiben.

Ich glaube, was ich und viele andere Menschen erlebt haben, kann sich kein Mensch vorstellen. Für mich ist ein Ziel, diese Botschaft weiterzugeben. Es ist merkwürdig: Es ist so viele Jahre her, aber es gibt nichts, das diese Wunden heilen kann.

Haben Sie eine Antwort auf die Frage gefunden, warum Menschen so sein können. So böse?

Ich glaube, das ist die Macht. Der Wunsch, Macht zu haben und zu bewahren, macht Menschen zu vielem fähig. Das habe ich als Siebzehnjährige im Gefängnis nicht verstanden. Ich habe mich nur gefragt: Wie kann das sein? Das ist doch ein Mensch. Der kann mir und den anderen das doch nicht antun. Ich glaube, ich habe das nicht verstanden, weil ich das nur in einem menschlich-humanen Sinne betrachtet habe. Ich habe nicht gewusst, dass Menschen zu allem fähig sind, um die eigene Macht zu bewahren. Dass manche zu Folter und anderen Verbrechen fähig sind, aber auch zu Demütigungen und Verletzungen. Aber das tun sie aus Angst. Nicht aus Stärke. Sie sind im Prinzip absolut feige. Ein mutiger Mensch braucht keinen anderen Menschen so zu entmutigen.

Der Mutige braucht keine Macht, der Feige braucht sie?

Nein, ein mutiger Mensch muss nicht ständig seine Macht beweisen, indem er andere erniedrigt. Man muss nicht andere brechen, um zu zeigen: Ich bin der Mächtige. Es ist eine alte, komplexe Debatte, die wir immer wieder führen, warum Menschen zu solchen Verbrechen fähig sind. Warum tun Menschen anderen Menschen weh? Dazu gibt es viele Forschungen und viele Antworten. Aber ich glaube, für die Opfer gibt es keine Antwort.

Welche Rolle spielte, dass Sie eine Frau sind?

Ich war ja schwanger, als ich ins Gefängnis kam. Ich habe meine Tochter im Gefängnis zur Welt gebracht. Diese Verletzbarkeit, die man, allein, weil man Frau ist, erlebt, wird unheimlich ausgenutzt. Vergewaltigung heißt nicht nur, dass einen das Geschlechtsorgan eines Mannes vergewaltigt. Im Gefängnis wird man tagtäglich vergewaltigt. In der Seele vergewaltigt. Als Frau ist man da schutzlos.

Ihre Schwangerschaft hat Sie nicht vor der Folter geschützt?

Nein. Nein.

[Stille]

Ich habe meine Tochter mit verbundenen Augen zur Welt gebracht.

[Stille]

Schwangerschaft ist kein Schutz, im Gegenteil. Jede schwangere Frau fühlt, ich muss mein Kind beschützen. Man hat stundenlang auf dem Boden gesessen und wurde von den Männern mit riesigen Militärstiefeln in den Bauch getreten. Und die wussten, dass manche Frauen schwanger sind. Und das war noch nicht mal eine Verhörsituation.

Einfach so.

Einfach so. Man musste einen Schleier tragen, und manchmal schauten da ein, zwei Haare drunter hervor. Das wusste man selbst nicht, weil ja die Augen verbunden waren. Dann sind die Männer gekommen und haben einem mit den riesigen Stiefeln in den Bauch getreten. Und gesagt: Jetzt bedeck mal deine Haare. Die Männer aber hat man nie gesehen, man hat nur die Stiefel gesehen. Ich habe keinen dieser Männer jemals in meinem Leben gesehen. Und ich glaube, das ist es auch etwas, was bei diesem Tribunal wichtig ist. Sie sind von Menschen gefoltert, erniedrigt, vergewaltigt worden, von denen sie nicht einmal ein Gesicht kennen.

Nur die Stimmen.

Ich kenne die Stimmen. Es gibt Berichte darüber. Man hat andauernd diese Stimmen, in Träumen, im Kopf.

Haben Sie manchmal diese Stimmen im Kopf?

Man vergisst sie nicht. Aber man hat keine Gesichter, keine Namen. Für diese Verbrechen gibt es keinen Namen und kein Gesicht. Und das ist das Ziel des Tribunals: dem Verbrechen einen Namen und ein Gesicht zu geben.

Gibt es einen Trost, wenn man so etwas erlebt hat?

Mein Trost ist, dass ich politisch aktiv bin.

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/opfer-des-chomeini-regimes-ich-kenne-nur-die-stimmen-11940962.html