Artikel aus der Presse > Artikel aus der Presse
Gefährliches Gezwitscher
(1/1)
Ben:
Der türkische Pianist Fazil Say twittert. Und stichelt dabei manchmal gegen den Islam.Das könnte ihm jetzt zum Verhängnis werden
Klassische Pianisten aus Asien oder den ehemaligen Sowjetländern trifft man auf den Konzertpodien häufig an. Kaum je aber einen aus der Türkei. Insofern genießt Fazil Say einen Exotenbonus. Als eine Art Fatih Akin der klassischen Musik ist der 42-Jährige ein Grenzgänger zwischen den Kulturen. Unvergessen sein Auftritt mit der Kremerata Baltica in Kreuzlingen und in Friedrichshafen. Fazil Say gab Mozarts „Rondo alla turca“ als Zugabe – ein Türke spielt, wie sich ein westlicher Komponist türkische Musik vorstellt. Schon darin steckt eine gewisse Ironie. Doch Fazil Say biegt das Klischee erneut um – Richtung Jazz. Nichts und niemand ist ihm heilig. Doch gerade seine flapsige Respektlosigkeit könnte ihm jetzt zum Verhängnis werden. Denn auch verbal hält er sich selten zurück – auch nicht in Richtung seiner türkischer Heimat. Nun hat die Staatsanwaltschaft in Istanbul Anklage gegen ihn erhoben. Wegen Verletzung religiöser Gefühle. Ihm drohen 18 Monate Haft. Was war passiert?
Fazil Say twittert. Und über diesen Kanal verbreitete er kürzlich die Zeilen eines persischen Dichters des 11. Jahrhunderts: „Du sagst, durch deine Bäche wird Wein fließen, ist das Pradies denn eine Schänke? Du sagst, du wirst jeden Gläubigen mit zwei Jungfrauen belohnen, ist das Paradies denn ein Bordell?“ Der Tweed tat seine Wirkung und löste einen Sturm der Entrüstung aus, wie man ihn hierzulande vielleicht nur mit Diskussionen über das Verbot von Kruzifixen in bayerischen Schulzimmern provozieren kann.
Allerdings war das nicht Fazil Says erste und einzige Stichelei Richtung Türkei. Mal lästert er über die schnulzige Arabeskmusik Anatoliens, mal stellt er fest, die türkische Popsängerin Sezen Aksu treffe ihre Töne nicht. Und zuletzt mokkierte er sich über einen Muezzin, der für seinen Aufruf zum Abendgebet nur rekordverdächtige 22 Sekunden benötigte: „Warum so eilig? Eine Geliebte? Der Raki-Tisch?“ Damit war das Fass voll, die Anklage gegen Say eingeleitet. Damit tut sich die Türkei gewiss keinen Gefallen. Fazil Say mag sich an seiner Heimat abarbeiten – doch er kommt auch immer wieder auf sie als wichtige Inspirationsquelle zurück. In seinen Kompositionen kann man das hören. Schon mischen sich in die Sympathiebekundungen für Say grundsätzlich türkei- und islamfeindliche Töne. Mit einer Haftstrafe für Say würde die Türkei solche Klischees auch noch bestätigen. Und die kennen keine ironischen Untertöne.
http://www.suedkurier.de/nachrichten/kultur/aktuelles/kultur/meinung/Gefaehrliches-Gezwitscher;art1009798,5541646
Navigation
[0] Message Index
Go to full version