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KarlMartell

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Kanonenfutter für die Front
« on: April 28, 2013, 01:24:52 pm »
SYRIEN

Kanonenfutter für die Front

Dschihadisten auch aus Deutschland kämpfen auf Seiten
der Rebellen – viele sind jung und völlig unerfahren.

Er spricht sehr gut Deutsch und
nennt sich Jussuf. Der junge Mann
ist etwa Mitte zwanzig, trägt Bartflaum
und fährt einen Lieferwagen durch
die Trümmerstraßen der Stadt Asas im
Norden Syriens. Der Beifahrer, im selben
Alter und ebenfalls Bartträger, will nicht
einmal seinen Vornamen nennen. Aber
auch er spricht fast perfekt Deutsch.
„Wir wollen nicht, dass wir nach unserer
Rückkehr Probleme mit dem Bundesnachrichtendienst
oder dem Verfassungsschutz
bekommen“, erklärt Jussuf. Deshalb wollen
die beiden auch nicht dar über reden,
aus welcher Stadt in Deutschland sie
stammen. „Bevor wir nach Syrien einreisten,
hatten schon die Türken unsere Passdaten
gespeichert. Die wissen also genau,
wer wir sind. Wenn die das an die Deutschen
weiterleiten, sind wir geliefert. Dabei
sind wir hier nur in humanitärer Mission
tätig.“
Humanitäre Mission? Das ist der Euphemismus,
den ausländische Dschihadisten
benutzen, wenn sie ihre Anwesenheit
in Syrien zu erklären versuchen.
Wohl ein paar hundert Muslime aus
westlichen Ländern kämpfen inzwischen
an der Seite der Aufständischen gegen Syriens
Diktator Baschar al-Assad – es sind
nur wenige im Vergleich zu den vielleicht
100000 Rebellen.
„Wir wissen, dass auch Dschihadisten
aus Deutschland, die wir hierzulande
bereits im Visier hatten, sich in Syrien
aufhalten und dort kämpfen“, sagte Bundesinnenminister
Hans-Peter Friedrich
vergangene Woche. Die Sicherheitsbehörden
fürchten vor allem, dass solche
Männer im Bürgerkrieg ausgebildet werden
– und dann radikalisiert in den Westen
zurückkehren. Falls sie
überleben.
Von seiner humanitären
Mission redete in Asas
auch Dschamal Mohammed
Abd al-Kadir gern,
ein 24-jähriger Kanadier –
bevor er im Kampf umkam.
Seine Familie stammt
aus der Nähe der kurdischsyrischen
Stadt Afrin.
Doch Abd al-Kadir wuchs
in Montreal auf. Er studierte,
als der Krieg in Syrien
ausbrach.
„Assad, dieses Monster,
zerstört sein Land, und die
ganze Welt schaut bloß
zu“, ereiferte sich der junge
Mann mit den lockigen
schwarzen Haaren im September.
„Darum bin ich
hierhergekommen – um
meinen muslimischen Brüdern
zu helfen.“
Ein Foto aus Abd al-Kadirs
Studentenzeit zeigt
ihn zu Hause, mit Pferdeschwanz
und Bluejeans.
Er entsprach überhaupt
nicht dem Bild, das man
sich im Westen von hartgesottenen
Dschihadisten
macht. Die Gehirnwäsche,
der er sich dann bei den
salafistischen „Bataillonen
der freien Syrer“ im Norden
Syriens unterzog,
zeigte jedoch schnell Wirkung.
Schon ein paar Wochen
nach seiner Ankunft
in Syrien sagte er: „Ihr
Medien im Westen lügt andauernd.
Ihr sprecht immer
von al-Qaida, aber in
Wirklichkeit sind eure
Länder die wahren Terroristen.
Sie töten muslimische Afghanen
und Palästinenser.“
Später wechselte Abd al-Kadir zur radikalen
„Dschabhat al-Nusra“, der Unterstützungsfront.
„Die Leute der Unterstützungsfront
haben erkannt, dass der
Kanadier ein cleveres Bürschchen war“,
erzählt einer von Abd al-Kadirs Kampfgefährten.
„Und für solche Leute haben die Verwendung.
Sie brachten ihn nach Damaskus,
und dort ist er gefallen. Er war der
einzige Sohn seiner Eltern, und die hatten
ihn noch überzeugen wollen, den ,Heiligen
Krieg‘ aufzugeben und nach Hause
zu kommen.“
Die Männer der islamistischen Unterstützungsfront,
die ihre Truppe als Teil
von al-Qaida sehen, sorgen sich nicht wegen
der Verluste in den eigenen Reihen.
In einem kleinen Laden in Asas sitzt ein
Kommandeur der Gruppe neben einem
jungen Libyer, der gerade
erst angekommen ist.
Zuerst klärt er ihn dar -
über auf, dass man bei der
Unterstützungsfront nicht
etwa von Syrien spricht,
sondern vom „Land von
Scham“. Damit ist praktisch
die ganze Levante gemeint,
die die Kämpfer am
liebsten in ein islamistisches
Großreich umwandeln
würden.
Dann sagt der ältere
Mann zum jüngeren: „Ich
wünsche dir, dass du
schon bald im Kampf fallen
wirst und ins Paradies
kommst.“
Viele ausländische Dschihadisten sind
zwischen 18 und 28 Jahre alt, arabischstämmig
oder zumindest aus muslimischen
Familien – und ohne jede Kriegserfahrung:
Kanonenfutter.
Sie kommen aus Golfstaaten wie Saudi-
Arabien, aus Nordafrika, Belgien, Frankreich,
den Niederlanden, Großbritannien
oder aus Nordamerika. Die meisten werden
in Trainingslagern vor allem im Norden
rudimentär ausgebildet.
Einen besonderen Status haben die Libyer.
Ein Arzt aus der libyschen Stadt Sawija
erzählt via Skype, dass er einen nahen
Verwandten in Syrien verloren habe.
„Wenn unsere jungen Männer Libyen verlassen,
dann sind sie in den seltensten
Fällen radikale Islamisten. Aber wenn sie
zurückkehren, erkennen wir sie fast nicht
mehr wieder. Sie wurden einer Gehirnwäsche
unterzogen.“
Libyen ist der wohl wichtigste Waffenlieferant
des syrischen Widerstands. Den
Libyern geht es nicht um Ideologieexport
oder strategische Interessen. Aber sie wissen,
was es heißt, wenn ein Diktator bereit
ist, sein eigenes Volk zu töten.
Der Weg, den die Syrien-Kämpfer nehmen,
ist fast immer derselbe: Sie fliegen
mit Turkish Airlines nach Istanbul. Libyer
brauchen kein Visum für die Türkei. Von
Istanbul nehmen sie die Maschine nach
Antakya oder Gaziantep, fahren weiter
in die Grenzstädte Reyhanli oder Kilis.
Oft helfen islamistische Netzwerke.
„In Sawija ist es ein stadtbekannter
Scheich und Salafist von der radikalsten
Sorte, der ihnen hilft“, erzählt der libysche
Arzt. „Wer kein Geld hat, um die
Reise selbst zu bezahlen, der bringt seine
Kalaschnikow mit und händigt sie den
Leuten des Scheichs aus“ – die das Gewehr
dann verkaufen.
Obwohl die meisten der ausländischen
Kämpfer in Syrien extrem jung und unerfahren
sind, gibt es einige hartgesottene
Krieger. Einer von ihnen ist ein 52-jähriger
Ägypter mit einem buschigen Bart.
Seinen Namen behält er für sich, doch er
erzählt, dass er schon mit den afghanischen
Mudschahidin gegen die Sowjets
gekämpft habe.
Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan
sei er 1992 verhaftet worden und habe unter
Präsident Husni Mubarak 15 Jahre lang
im Gefängnis gesessen. „In Syrien wird
den jungen Menschen alles aufgezwungen,
man lässt sie ihre Zukunft nicht frei wählen“,
sagt er über das Leben seiner syrischen
Mitkämpfer unter Assad: „In Euro -
pa aber sind die Jugendlichen frei, ihren
Lebensweg aus eigener Kraft zu finden.“
In Europa, glaubt er, könnten sie eher
dem Weg des Propheten Mohammed folgen
als im Syrien des Diktators Assad.
Dort gebe es mehr Raum, auch für Islamisten.
Und deshalb kämpft der Dschihadist
dafür, dass Syrien ein bisschen so wird
wie Europa.

DER SPIEGEL 18/2013, S. 90/91

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