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KarlMartell

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Der Tugendterror der Wutmuslime
« on: September 19, 2012, 02:00:06 pm »
Die Welt 19.09.12
Der Tugendterror der Wutmuslime

Warum wir nicht nachlassen dürfen, für die Errungenschaften der freien Welt zu kämpfen

Necla Kelek

Die aktuellen Angriffe auf westliche Botschaften in der arabischen Welt sind keine spontanen Proteste religiöser Wutmuslime gegen einen Roman wie "Die satanischen Verse", dänische Mohammed-Karikaturen oder ein schlechtes Wüstenvideo aus Kalifornien, sondern Teil eines sich ausweitenden Religionskrieges. Dieser Krieg wird an mehreren Fronten ausgetragen. Die eine Front ist der Bürgerkrieg um die Macht in der arabischen Welt: Sie verläuft zwischen den wahabitischen/ salafistischen und moderateren Sunniten um die Macht in den einzelnen Staaten. Was als Kampf um Demokratie begann, wurde inzwischen von den Islamisten okkupiert. Eine andere Front verläuft zwischen den Sunniten und Schiiten, zwischen Säkularen, Dschihadisten und Despoten in Syrien, im Irak und Iran. Alle vereint die gemeinsame Front gegen den äußeren Feind, die Lebenswelt und den Einfluss des "Westens", repräsentiert durch die USA – und der Kampf gegen Israel. Begleitet und vorbereitet wird dies durch die fünfte Kolonne in diesem Krieg, den sogenannten "Istanbul-Prozess", ein von den islamischen Staaten beschlossenes und mit über zehn Milliarden Dollar jährlich finanziertes Missionsprogramm, dessen Ziel unter anderem die Kriminalisierung von Kritik der Religion des Islam ist.

Ich war zu Beginn dieses Jahres unter anderem in Kairouan in Tunesien, um mir den "arabischen Frühling" im Maghreb anzusehen. Kairouan ist Ursprungsort der Fatimiden und mit seinen über 300 Moscheen für die Muslime nach wie vor eine heilige Stadt und Pilgerort. Hier ist ein Gefährte des Propheten begraben, der dessen drei Barthaare bei sich getragen haben soll; und sieben Pilgerfahrten nach Kairouan zählen in der religiösen Arithmetik der Gläubigen so viel wie eine Hadsch nach Mekka. Es ist kein Zufall, dass die Araber aus Saudi-Arabien diese Stadt und die Moscheen des ganzen Landes wieder zum Ausgangspunkt ihrer ideologischen Offensive machen. Sie kommen nicht mit dem Schwert, sondern zunächst mit ihrem Ölgeld, mit dem sie TV-Sender finanzieren und die in Riad ausgebildeten Prediger unterstützen. Wir konnten in Tunesien wie schon in Ägypten und später in Marokko beobachten, dass die Fundamentalisten zunächst die Moscheen vereinnahmen und von dort aus ihre Agitation auf die Straße tragen. Mit der Aura des Sakralen lässt sich bei den gläubigen Menschen in Nordafrika hervorragend Politik machen. Am 20. Mai 2012 versammelten sich in Kairouan die Aktivisten der tunesischen Salafiyya zum "Zweiten Kongress der Partisanen der Scharia". Der Platz vor der großen Moschee war gefüllt mit Tausenden von Anhängern, vor einer Tribüne veranstaltete man Schwertkämpfe, einen Aufgalopp von Kriegern auf Araberpferden. Es wurden Kriegsgesänge angestimmt und Kämpfer im Outfit afghanischer Taliban bejubelt, sodass die Händler und Besucher der Medina den Eindruck haben konnten, die Beduinen wiederholten die Besetzung der Stadt, die sie im Jahr 1054 schon einmal überfallen hatten.

"Wir haben sie nicht eingeladen", sagte ein Händler, aber Proteste gegen die ungebetenen Gäste gab es auch nicht. Vor der versammelten Prominenz der zwar immer noch verbotenen salafistischen Bewegung Hizb Ettahrir skandierte die Menge: "Juden, Juden, die Armee des Mohammeds ist zurück!" und "Wir sind alle Kinder Osamas!" Gemeint war natürlich Osama Bin Laden. Ein Redner schwor die Menge ein: "Jeder Muslim ist ein Dschihadist, und der Dschihad ist unsere Pflicht." Und auf die tunesische Revolte bezogen: "Diese Revolution ist gemacht worden, damit unsere Bewegung an die Macht kommt." Es wurden Flugblätter verteilt, auf denen die Teilnehmer ermahnt wurden, nicht mit Journalisten zu sprechen. Man wollte nicht zu früh entlarvt werden. Die Hizb Ettahrir wurde 1953 als Abspaltung von den Muslimbrüdern gegründet, kämpft für die Errichtung des Kalifats, des Gottesstaates auf der Grundlage der Scharia. Ihre Funktionäre sind die Drahtzieher der Proteste.

Ideologisch und theologisch befinden sich die Salafisten im 7. Jahrhundert, was unschwer an ihren Kaftanen, Hochwasserhosen, Bärten und Käppis zu erkennen ist. In ihrer Strategie und Taktik befinden sie sich aber auf der Höhe der Zeit. Ihre "Asabiyya", das ist die vom großen tunesischen Historiker Ibn Khaldun beschriebene "kollektive Aggressivität", stellt die tunesische Zivilgesellschaft vor erhebliche Probleme. Überall, wo sich die demokratische Bewegung zeigt, treten diese Moralterroristen auf. Der Islam-Mob stürmt Theater und Kinos, wenn ihnen ein Film oder Schauspiel nicht gefällt; provoziert Straßenschlachten, wenn in Kunstausstellungen missliebige Werke gezeigt werden; besetzt Universitäten, damit ihre Frauen vollverschleiert studieren können. Die Salafisten sind die Sturmabteilung des politischen Islam. Sie haben die Moscheen und die Straße erobert, und es war ihnen ein Leichtes, auf einen SMS-Flashmob hin die Stürmung der US-Botschaft in Tunis zu organiorganisieren, bei der es Tote und Verletzte gab. Die tunesische Zivilgesellschaft verfügt noch nicht über die demokratischen Abwehrmechanismen, die Salafisten in die Schranken zu weisen. Die Polizei ist durch die Kollaboration mit dem Ben- Ali-Regime diskreditiert und steht jetzt unter dem Befehl der islamistischen Ennahda-Regierung, die sich nicht eindeutig von den Salafisten distanziert. Die Demokratiebewegung wird – obwohl sich inzwischen Gewerkschaften und Bürgerrechtler organisieren – durch den Druck des Tugendterrors der Salafisten zerrieben.

In Ägypten ist der organisierte Zorn gegen die USA willkommene Gelegenheit, von dem Unvermögen der Regierung abzulenken, die Wahlversprechungen nach einem besseren Leben oder wenigstens nach Brot zu erfüllen. Auffällig ist, dass der neu gewählte ägyptische Präsident Mursi und mit ihm alle anderen muslimischen Politiker bis hin zum türkischen Ministerpräsidenten Erdogan immer nur davon sprechen, dass sie dagegen sind, dass "Unschuldige" bei diesen Protesten zu Schaden kommen. Gleichzeitig sagen sie und ihre Parteien aber, dass die Beleidigung des Propheten ein zu bestrafendes Verbrechen sei. Schuld haben in dieser Auffassung auch diejenigen, die solche Schmähungen zulassen. Und wer schuldig ist, bestimmen sie im Namen des Islam. In der schlichten Logik der Islamisten also der Westen.

Die Reaktionen vieler Politiker hier, von der Bundesregierung bis hin zu den Moderatoren des ZDF, zielen in Verkennung der tatsächlichen Ursachen, auf Konfliktvermeidung. Das mag für den Moment die Sache beruhigen, ist aber eine Fehleinschätzung. Es wird wieder ein Video, ein Lied, ein Buch geben, über das man sich aufregen wird. Wir können ja nicht zu denken und zu arbeiten aufhören, damit wir die Islamisten nicht provozieren. Die eigentliche Provokation für diesen Teil der Welt ist nämlich nicht ein Schmähvideo, sondern der Lebensstil, der Erfolg und die Freiheit des Westens – und die eigene Perspektivlosigkeit. Sie verstehen nicht, warum Allah zulässt, dass es den Ungläubigen besser geht als ihnen. Als 1989 Salman Rushdie von Islamisten mit einer Todes-Fatwa verfolgt wurde, sorgten in Deutschland einige mutige Verleger und Buchhändler mit dem Verlag "Artikel 19" dafür, dass "Die satanischen Verse" trotz Morddrohungen erscheinen konnten. Heute drucken Zeitungen keine religiösen Karikaturen mehr – es sei denn, der Papst ist das Ziel des Spotts. Was wollen wir zukünftig alles nicht mehr tun, um nicht den Zorn von selbst ernannten Gotteskriegern zu provozieren?

Salman Rushdie, der heute wieder von einer Fatwa bedroht ist, hat schon vor Jahren die Haltung dazu treffend formuliert: "Es ist völlig in Ordnung, dass Muslime – dass alle Menschen – in einer freien Gesellschaft Glaubensfreiheit genießen sollten. Es ist völlig in Ordnung, dass sie gegen Diskriminierung protestieren, wann und wo immer sie ihr ausgesetzt sind. Absolut nicht in Ordnung ist dagegen ihre Forderung, ihr Glaubenssystem müsse vor Kritik, Respektlosigkeit, Spott und auch Verunglimpfung geschützt werden."

Die Autorin ist eine deutsch-türkische Soziologin und Publizistin. Von ihr erscheint am 8. Oktober "Hurriya heißt Freiheit – die arabische Revolte und die Frauen. Eine Reise durch Ägypten, Tunesien und Marokko", Kiepenheuer und Witsch

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article109314436/Der-Tugendterror-der-Wutmuslime.html#disqus_thread

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