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KarlMartell

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Allah ist der Beste
« on: September 24, 2012, 12:59:30 pm »
Allah ist der Beste

Die Männer tragen Bart, verteilen den Koran, beunruhigen den Verfassungsschutz.
Salafisten sind zum Synonym für Bedrohung geworden. Wie denken die Frauen?
Ein Wochenende mit zwei Verschleierten.

Von Özlem Gezer und Barbara Hardinghaus

Auf dem Weg ins Paradies halten
Saliha und Reyhana im Döner-Imbiss
an der Bornheimer Straße.
„Können wir hier beten?“, fragt Saliha.
„Ja, okay“, sagt der Angestellte.
Die beiden Frauen betreten den Laden,
sie rollen eine Unterlage auf dem Boden
aus. Der Angestellte stellt die Stühle weiter
hoch, er wollte eigentlich schließen,
es ist 21 Uhr. Saliha prüft mit dem Kompass
in ihrem iPhone die Himmelsrichtung.
Wo liegt Mekka?
Mekka liegt hinter dem Imbiss, da, wo
die ICE durch Bonn fahren. Die beiden
Frauen knien nieder, sie beten, mitten im
Industriegebiet. Sie tragen Handschuhe
und Nikab, einen Schleier mit schmalen
Schlitzen vor den Augen. Vor dem Laden
fahren Autos durch die Dunkelheit. Für
die Menschen draußen sind die Frauen
die Bräute der Terroristen. Der Verfassungsschutz
beschäftigt sich
mit ihren Männern, die im
Land als „Salafisten“ bekanntgeworden
sind, als sunnitische
Fundamentalisten, die den
Frieden in Deutschland gefährden
würden. Salafisten wollen
ein Leben führen wie der Prophet
Mohammed, in ihrer Welt
herrschen Allahs Gesetze,
nicht die Regeln der westlichen
Gesellschaft.
Nach ein paar Minuten rollen
die Frauen ihre Laken zusammen
und bedanken sich. Sie reden
akzentfrei Deutsch, sie sind
deutsche Staatsbürgerinnen.
Saliha stammt aus Köln-Ehrenfeld,
Reyhana aus Ulm, sie
sind 31 und 23 Jahre alt. Vor
ein paar Jahren noch sahen sie
anders aus. Saliha trug hohe
Schuhe und gefälschte Markenklamotten
– und einen deutschen
Vornamen. An den Wochenenden
tanzte sie abends
in den Rockterrassen, zu Techno
und HipHop. Reyhana trat
mit ihrer Schulband im Ulmer Roxy auf
und sang „Hit the Road, Jack“. Sie galt
als die Schönste in ihrer Schule, wurde
Ballkönigin, trug Piercing, schwarzen
Kajal und lange, dunkle Locken.
Beide haben den Realschulabschluss
gemacht, Saliha arbeitete danach erst als
Kosmetikerin, dann in einem Call-Center,
später in einem Restaurant, einem Fitness-
Studio, einem Kindergarten und bei
einer Zeitung. Reyhana wurde nach der
Schule Friseurin. Sie lernten sich kennen,
als sie beide nach Bad Godesberg an den
Rhein zogen. In Bad Godesberg nahm ihr
Leben eine andere Richtung.
Reyhana ist heute mit einem Mann verheiratet,
der gerade in Stuttgart in Untersuchungshaft
sitzt und auf seinen Prozess
wartet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm
vor, Mitglied einer kriminellen Vereinigung
zu sein und deutsche Kämpfer für
den Dschihad geworben zu haben. In Bad
Godesberg lebten sie nahe der König-
Fahd-Akademie, das Viertel wurde in
Deutschland bekannt durch Bilder, auf
denen die Gewalt eskaliert. Eines dieser
Bilder zeigt, wie ein radikaler Islamist bei
Kämpfen zwischen Salafisten und vermummten
Rechten einem Polizisten ins
Bein sticht. Es ging um Mohammed-Karikaturen,
es ging, schon damals, um die
Verletzung religiöser Gefühle. Bad Godesberg
ist seitdem zum Sinnbild geworden
für eine Bewegung junger Leute mit
langem Bart, die das Land bedrohen.
Saliha ist vor einem Jahr weggezogen
von Bad Godesberg. Zwei-, dreimal im
Jahr kehrt sie zurück, um hier mit Reyhana
ein schönes Wochenende zu verbringen,
so wie früher. Wer sie dabei begleitet,
bekommt Einblicke in eine Welt,
die normalerweise hinter einem Schleier
versteckt bleibt. Ihre einzige Bedingung
war, dass ihre richtigen Vornamen nicht
genannt werden.
Saliha und Reyhana haben vorhin, in
dem Laden, wo sie beten durften, nichts
mehr zu essen bekommen, sie sind weitergezogen
in die Innenstadt und stehen jetzt
in einem Döner-Laden, der bis zum späten
Abend geöffnet hat. Sie setzen sich an einen
der hinteren Tische. Sie verstecken sich
hinter einem Pfeiler, um zu essen. Wenn
fremde Männer ihr Gesicht sehen würden,
wäre das Sünde, in ihren Augen.
Saliha bestellt Fleisch. Sie bekommt einen
Kebab-Teller, mit Salat und Saucen.
Sie hält die Gabel in der rechten Hand,
mit der linken hebt sie den Schleier und
führt das Fleisch unter dem Stoff zum
Mund. Sie kaut hastig. „Fleisch kanns
du so viel essen, wie du willst, und wirst
trotzdem nicht fett“, sagt sie.
Sie macht gerade eine Kohlenhydrate-
Diät, verzichtet auf Reis, Brot und Kartoffeln
und hat in zwei Monaten schon
vier Kilogramm abgenommen. Reyhana
hat am Nachmittag im Internet nach Fatburnern
gesucht. Die beiden wollen gut
aussehen, sexy sein für ihren Mann, wie
sie sagen. Sie können auch das mit dem
Koran begründen. Allah sagt, dass ein
Mann mehrere Frauen haben darf, vier,
wenn er will. Es heißt auch, dass die Zufriedenheit
des Mannes die Frauen ins Paradies
bringt. Und da wollen sie hin. Sie
glauben, dass sie in der Welt hier unten
nur deshalb sind, weil sie dem Teufel gefolgt
seien. Der Weg zurück ins Paradies
sei hart und voller Prüfungen.
„Aber Allah prüft nur die, die er liebt“,
sagt Reyhana.
Die beiden Freundinnen
wollen noch einen Kaffee trinken
und ein Eis essen, mit doppelt
Karamell. Sie stehen auf
einem Parkplatz vor einer
McDonald’s-Filiale, und Saliha
sagt: „Der Islam ist das Erste,
was ich wirklich durchziehe.“
Mit dem Islam lebt sie zum
ersten Mal nach Regeln. Ihre
Mutter war alleinerziehend,
ein Alt-Hippie, sie verdiente
ihr Geld in einem Bio-Laden.
Saliha glaubte an keinen Gott,
sie glaubte nur, dass sie mal
eine große Tänzerin werden
würde. Ein guter Abend war
für Saliha, wenn sie viele Telefonnummern
von den Jungs
bekam. Sie hatte Freunde, einen
Griechen, einen Italiener,
einen Deutschrussen. Es war
nie richtig ernst. Dann kam einer,
der ihr sagte, sie solle im
Koran lesen.
Sie habe ihn nur deshalb gelesen,
weil sie ihrem neuen
Freund beweisen wollte, dass
im Koran Blödsinn steht. An einem Samstagmorgen
habe sie damit angefangen,
aber es sei anders gekommen, als sie gedacht
habe.
„Es war, als hätte mich der Prophet Mohammed
persönlich angesprochen“, sagt
sie. Als hätte er zu ihr gesagt: „Glaube!
Denn das ist die Wahrheit.“
„Ich war so glücklich“, sagt Saliha.
Kurz darauf ging sie in die Moschee.
Sie traf Leute, die kamen ihr vor, als
wären sie tatsächlich Brüder und Schwestern.
Diese Leute schenkten ihr ein weißes
Kopftuch. Später trug sie auch weite
Röcke, dann den Schleier. Sie hörte auf,
in den Discotheken zu tanzen.
„Das war wie Geburt, Weihnachten,
Ostern und die große Liebe zusammen“,
sagt sie auf dem dunklen Parkplatz im Industriegebiet
von Bonn. Saliha sieht ihre
Freundin kurz an, Reyhana lächelt und
sagt: „Ich habe jetzt echt voll Gänsehaut.“
Ihre Eltern waren 1992 aus Algerien
nach Deutschland gezogen, ihr Vater
gründete einen arabischen Radiosender
und einen Bürgerverein. Abends ging
Reyhana mit ihrer Clique ins Café Si,
hörte Musik und trank Zitronenlimonade.
Sie musste nach Hause, sobald die Läden
schlossen. Für sie galten schon als Kind
die Regeln des Korans, aber sie nahm diese
Regeln nie ernst.
Während ihrer Ausbildung zur Friseurin
dachte sie, gute Klamotten und gutes
Styling seien ein gutes Programm für das
Leben. Als sie gerade 17 geworden war,
saß sie, aufgetakelt für den Job, im Regen
an einer Bushaltestelle und fragte sich
zum ersten Mal, was das alles eigentlich
soll. Kurz zuvor hatte sie zu Hause beim
Putzen einen Koran auf Deutsch gefunden.
Sie hielt ihn in den Händen und
dachte, das sei der Sinn.
„An dem Tag hat mir Allah die Liebe
in mein Herz gelegt“, sagt sie auf dem
Parkplatz vor McDonald’s. An diesem
Tag beschloss sie, dass das Leben, wie sie
es bisher gelebt hatte, nicht mehr schön
sei, dass es voll sei mit Sünden. Dass eine
Jeans Sünde sei, Rauchen, Alicia Keys.
Von da an betete sie fünfmal täglich.
„Ich schäme mich voll dafür, wie ich
früher war“, sagt Saliha. Auch sie raucht
nicht mehr. Wenn sie jetzt nicht raucht,
darf sie im Paradies so viel rauchen, wie
sie will, daran glaubt sie.
In der Welt der Freundinnen hat nun
alles eine Struktur. Für alles sind Lösungen
vorgezeichnet. Sie stehen in einem
Handbuch, der Prophet und seine Anhänger
haben es hinterlassen. Es nimmt den
beiden Freundinnen Entscheidungen ab
und regelt ihren Alltag. Darin steht, dass
die Küche immer so sauber sein müsse,
als käme Allah jeden Moment zu Besuch.
Dass sie ihre Augenbrauen nicht zupfen,
nur färben dürfen. Und um zum Orgasmus
zu kommen, lautet der Rat: Seid
nicht unbeholfen!
„Allah hat an alles gedacht“, sagt Reyhana,
„er ist der Beste.“
Das bedeutet aber auch, dass Allah alles
sieht. Er filmt ihr Leben ab, 24 Stunden
lang, auch während des Schlafs. Am
Ende entscheidet Allah: Hölle oder Paradies?
In der Hölle ist das Trinkwasser
eitrig. In der Hölle wird jeder dick, bekommt
Pickel und schlechte Haut.
Saliha möchte eine Haut wie aus Glas.
Und die gibt es eben nur im Paradies.
Im Paradies, sagt sie, fließt auch Alkohol,
und zwar in goldenen Bechern. Die
Teller, von denen sie essen, sind mit Diamanten
bestückt, sie führen ein Leben
im Luxus. Reyhana freut sich auf ein eigenes
Haus, die erste Etage ist voll mit
Schminke. In der zweiten Etage hat sie
eine Auswahl an Klamotten, die nicht
mehr aufhört.
„Du musst nie wieder darüber nachdenken,
was du anziehst. Allah macht alle zufrieden“,
sagt sie. Nach ihrer Vorstellung
ist das Leben im Paradies in etwa so, wie
ihr Leben war, als sie Ungläubige waren,
nur noch besser. Sie werden wieder 18
sein, sie tragen keinen Schleier, sie werden
nicht schwitzen und wunderschön sein.
Aber noch stehen sie auf dem Parkplatz
in Bonn und müssen zusehen, dass
sie die Prüfungen bestehen.
Der Samstag der beiden Frauen beginnt
bei Friseur Prinz an der Koblenzer
Straße. Oben im Laden sitzen dunkelhaarige
Männer und lassen sich den Bart stutzen.
Unten im Keller schneidet eine Iranerin
muslimischen Frauen die Haare.
Der Raum hat keine Fenster, Männer sind
verboten.
Saliha nimmt ihren Schleier ab, öffnet
ihr langes Haar. Sie trägt Glanz-Leggings
und ein tiefausgeschnittenes T-Shirt. Zu
Hause läuft sie mit High Heels durch die
Wohnung. „Ich bin halt ’ne Tussi“, sagt
Saliha.
Reyhana sitzt auf einem Stuhl in der
Ecke und sieht dabei zu, wie ihrer Freundin
die Haare gefärbt werden. Sie selbst
muss sich heute nicht schönmachen
lassen, ihr Mann sitzt ja im Moment in
U-Haft. Sobald er zurückkommt, will sie
ins Sonnenstudio gehen. Ihr Mann liebt
braune Haut.
Reyhana wurde ihm empfohlen, weil
sie aussehe wie Angelina Jolie, das jedenfalls
sagten ihm die Brüder. Zwei Wochen
nach der ersten Begegnung heiratete sie
ihn, einen Deutschen, der konvertiert war.
Sie wollte alles über den Islam lernen und
den Führerschein machen. Sechs Jahre
später hat sie drei Kinder, aber noch keinen
Führerschein.
„Mein Mann sah gut aus und war praktizierender
Muslim. Was wünscht sich
eine Frau mehr?“, fragt Reyhana.
Ihr gegenüber beim Friseur sitzt Salihas
Mutter. Sie hat den Rucksack gepackt für
den Ausflug am Nachmittag mit den Kindern.
Saliha hat inzwischen vier, ihre Mutter
hilft ihr immer samstags. Sie trägt Gesundheitssandalen
und einen blonden
Rundschnitt. Als Salihas Oma berufstätig
werden wollte, musste sie sich von ihrem
Mann eine schriftliche Genehmigung geben
lassen. Salihas Mutter hat einen harten
Kampf geführt, um eine moderne
Frau zu werden. Sie hadert mit dem Frauenbild
ihrer Tochter.
Während ihr die Haare geschnitten
werden, sagt Saliha: „Mein Mann will gar
keine zweite Frau. Der hat gesagt: Du
reichst mir. Er sagt, es wäre leicht, eine
zweite Frau zu nehmen und mit ihr zu
schlafen. Dann wäre seine Befriedigung
für eine Nacht erreicht. Aber er sagt auch,
die Verantwortung, die man dafür trage
vor einer Frau, die sei so groß, dass er davor
zurückschrecke. Und wenn du deine
Frauen ungerecht behandelst, wird Allah
dich mit getrennten Hälften auferstehen
lassen.“

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KarlMartell

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Re: Allah ist der Beste
« Reply #1 on: September 24, 2012, 01:00:06 pm »
„Und was würde passieren, wenn dein
Mann fremdgehen würde?“, fragt ihre
Mutter. „Wird er dann gesteinigt?“
„Nicht gleich. Erst, wenn acht Augen
den Geschlechtsverkehr gesehen haben“,
sagt Saliha. „Dann wird er gesteinigt?“,
fragt die Mutter. „Dann wird er gesteinigt“,
sagt Saliha. „Und das ist dann auch
in Ordnung.“
Für einen Moment wird es ganz ruhig
im Friseursalon.
„Ich übe mich jeden Tag in Toleranz“,
sagt die Mutter dann. Aber das gelinge
ihr nicht immer. Neulich seien sie bei einem
Gespräch über Homosexualität aneinandergeraten.
„Schwulsein führt zu Unheil“, sagt Saliha.
Schwulsein sei nicht normal.
„Was ist an Horst denn nicht normal?“,
fragt die Mutter. Sie meint Horst, den
schwulen Freund der Familie.
Reyhana folgt stumm der Unterhaltung.
Dann sagt sie: „Allah hat ja nicht umsonst
das schwule Volk Lud ins Höllenfeuer verbannt.“
Die drei Frauen verlassen den Friseursalon,
sie wollen noch nach einem neuen
Nikab für Reyhana sehen. Er soll atmungsaktiv
sein, Reyhana hat Probleme mit ihrer
Gesichtshaut. Außerdem liegt der, den sie
gerade hat, zu eng an. Man kann ihre
Kopfkonturen erkennen, das will sie nicht.
Ein Schleier hat für sie den Sinn einer
Schutzfolie. Ohne ihn würden Dreck und
die Blicke der anderen an ihr kleben.
Der Taiba-Shop an der Kölnstraße hat
eine gute Auswahl. Es gibt lange und
kurze Nikabs, Sommer- und Winter -
nikabs, der billigste kostet 15, der teuerste
40 Euro. Die besten kommen aus Ägypten,
sie sind dreilagig, aber trotzdem
leicht.
Aus den Boxen klingen Koran-Suren,
die Männer an der Kasse haben einen
langen Bart und sprechen die Suren mit.
Vor ihnen liegen Listen mit Düften, sie
heißen „Sultan“ oder „Amber“, sie sind
importiert aus Saudi-Arabien, ohne Alkohol,
aus Zedernholz. Reyhana sieht die
Listen durch. „Es ist wichtig, dass du gut
riechst“, sagt sie. Die Engel würden guten
Geruch mögen, und schließlich seien es
die Engel, die sie ins Paradies brächten.
Die Nikabs findet Reyhana in einem
der hinteren Zimmer, Zugang haben nur
Frauen. Sie kauft den für 15 Euro, dann
ziehen sie weiter nach Königswinter, sie
mögen da die Schiffe auf dem Rhein und
die Kuchengärten. In einem Supermarkt
kaufen sie Kinderschokolade und Red
Bull. Die Frau an der Kasse sieht den
verschleierten Frauen hinterher und sagt
leise: „Schade ist so etwas.“
Sie laufen weiter, durch die Altstadt,
es sind 24 Grad. Salihas Mutter bemerkt
die Blicke, die ihnen folgen. Sie sagt:
„Meine Tochter könnte morgen als Känguru
gehen, und ich würde hinter ihr stehen.“
Weil so viele Leute unterwegs sind,
schließt Saliha ihren Schleier vollständig.
„Du stolperst selbst noch über dein Wallawalla“,
sagt ihre Mutter. Ihre Tochter
sieht von vorn aus wie von hinten.
„Hat die überhaupt Augen?“, fragt eine
Rentnerin.
Einmal, sagt Saliha, habe sie ein Mann
am Bahnhof gepackt, er schrie sie an und
forderte: „Zieh das aus, du Schlampe!“
Das alles sind nur Prüfungen. Irdisches
Leben. Reyhana sucht sich einen Hauseingang
für das Abendgebet, sie kniet
nieder, zwischen Briefkästen und einem
Plakat, auf dem steht: „Deutschlands
größte Halloween-Party“. Auf dem Weg
von der Fußgängerzone ins Restaurant
spricht sie Bittgebete, kleine Texte, in denen
sie Allah um Schutz bittet. Sie erreichen
das Casablanca, einen arabischen
Schnellimbiss. Ein Buffet ist aufgebaut,
der Laden füllt sich.
Das Casablanca ist für die beiden Frauen
nicht perfekt, aber akzeptabel. Besser
wäre es, wenn es Trennwände gäbe, einen
Bereich für Männer, einen für Frauen.
Im Fernsehen läuft ein arabischer Sender,
Männer sagen Koran-Verse auf, danach
sieht man zerbombte Häuser und verletzte
Menschen in Syrien. Saliha sagt, der
Sender zeige die Wahrheit, das ganze
Leid ihrer Brüder und Schwestern. Sie
guckt kaum noch deutsches Fern sehen.
Nach dem Essen gehen die beiden Frauen
in eine Abstellkammer, um zu beten.
Sie verneigen sich zwischen eingelegter
Roter Bete und Dosenmais.
Am nächsten Morgen sitzt Saliha an einem
alten Holztisch in der Wohnung ihrer
Mutter. Sie nimmt sich den Schleier
vom Kopf und wischt die Schminke mit
einem feuchten Tuch aus dem Gesicht.
Ihr Mann findet die Haare zu hell, sagt
sie. Auf einem Regal steht ein Foto, das
Saliha zeigt, als sie fünf Jahre alt war.
Bei sich zu Hause stellt Saliha keine
Fotos mehr auf, weil sie glaubt, dass die
Engel dann die Wohnung nicht mehr betreten.
Gottes Schöpfung dürfe niemand
nachahmen. Sie wohnt auf 96 Quadratmetern,
modern, mit weißen Lackmöbeln,
einem Herd, der sich selbst reinigt,
und einem Kühlschrank mit Ice-Maker.
Ihr Mann, ein Syrer, verkauft Energiesparlampen
im Internet, sagt sie. Wenn
sich die beiden einen schönen Abend
machen wollen, sehen sie Vorträge von
Islampredigern im Internet.
Sie haben ein ruhiges Leben, seit sie
aus Bad Godesberg weggezogen sind. Saliha
sagt, sie hätten den Druck nicht mehr
ausgehalten. Einmal habe der Verfassungsschutz
in ihrer Wohnung gestanden
und ihnen den Pass abgenommen, danach
wollten sie weg aus dieser Gegend.
Reyhana und ihr Mann lebten zu der
Zeit bereits in Ägypten, wo sie Arabisch
lernten. Dort erfuhren sie, dass deutsche
Beamte nach Reyhanas Mann suchten.
Reyhana rief bei Saliha an und sagte, dass
sie sich jetzt erst mal für längere Zeit
nicht sehen würden.
Sie flohen nach Pakistan. Sie wohnten
in einer Bergregion am Hindukusch in
einem Lehmhaus, hinter einer drei Meter
hohen Mauer.
Über den Hof lief Mimi, die kleine
Katze, und jagte Geckos. Ein paar Kilometer
weiter trainierten Deutsche für den
„Heiligen Krieg“. Durch die Luft flogen
amerikanische Drohnen, aber Reyhana
hatte keine Angst vor dem Tod, sagt sie.
Würde sie sterben, wäre sie schneller bei
Allah.
In Pakistan hat sie Englisch gelernt und
Nähen. Sie hatte einen Katalog von
H&M als Vorlage. Sie sagt, sie hätten
meistens einen ganz normalen Alltag gehabt.
Aber auch das gab ihr keine Ruhe.
„Das Problem ist, wenn drei Monate
lang nichts Schlimmes passiert, habe ich
Sorge, dass Allah nicht zufrieden ist“,
sagt sie. Wenn Allah ihr keine Prüfungen
mehr schicke, glaubt sie, dann liebe er
sie womöglich nicht mehr.
Die Prüfungen kamen dann doch noch.
Weil es in Pakistan zu ungemütlich wurde,
zogen sie weiter. Sie kamen bis nach Istanbul.
Hier wurde ihr Mann, inzwischen
mit internationalem Haftbefehl gesucht,
festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert.
Reyhana ging mit ihren Kindern
zurück nach Bonn, wo sie jetzt bei den
Eltern in einer Sozialwohnung lebt.
„Ich bin Muslima im Kindergarten“, so
heißt das Buch, das Reyhana vor kurzem
für ihre Tochter gekauft hat. Die Tochter
ist jetzt vier Jahre alt, wurde in Ulm geboren,
in Ägypten lernte sie Laufen, in
Pakistan trug sie ihre erste Hello-Kitty-
Kette. Ob ihr Kind in Bonn überhaupt
einmal in einen Kindergarten gehen wird,
weiß Reyhana noch nicht. Sie hat Sorge,
ihre Tochter könnte einen Jungen in der
Puppenecke küssen. Außerdem feiern sie
in deutschen Kindergärten Weihnachten
und Geburtstage mit Musik und Gummibärchen
aus Schweinegelatine.
„Kinder sind wie ein weißes Hemd“,
sagt Reyhana. „Sie gehen raus und werden
schmutzig, und wenn sie wieder zurück
sind, muss man sie waschen.“
Sie bereitet gerade die Speisen für das
Abendessen vor, Fladenbrot, Oliven und
Datteln. Ihr Schwiegervater hat sich angekündigt.
Reyhana und ihr Mann haben
ihm einmal eine Reise geschenkt, nach
Mekka. Danach ist auch er konvertiert.
Seit Reyhana den Schleier trägt, benutzt
auch ihre Mutter ein Kopftuch, und ihr
Vater versteckt sich vor den Enkeln,
wenn er raucht.
„Wir können die Menschen zu nichts
zwingen, aber wir können ihnen den Islam
immer wieder vor die Haustür tragen“,
sagt Reyhana.
Für den Nachmittag hat sie sich noch
einmal mit ihrer Freundin verabredet. Saliha
wartet am Rhein. Sie begrüßen sich,
„Salam alaikum“, sie umarmen sich und
schlendern unter ihrem Schleier in der
heißen Sonne am Ufer entlang. Ein Radfahrer
drängt sie vom Fahrradweg.
„Die Deutschen hassen uns. Wenn hier
ein Anschlag passiert, sind wir die Ersten,
die abgemurkst werden“, sagt Saliha.
Sie sagt, grundsätzlich sei sie gegen
Gewalt. Aber Anschläge auf Ungläubige
seien etwas anderes als Gewalt. „Die Anschläge
sind nur Hilferufe und die Bomben
die Waffen der Schwachen und Unterdrückten.“
Am Rheinufer legt eine Fähre ab, sie
bringt Touristen ans andere Ufer.
Wie wäre die Welt perfekt?
„Wenn es mehr Verständnis für uns
gäbe, Toleranz und überall die Scharia“,
sagt Reyhana.
DER SPIEGEL 39 / 2012  S. 60-65