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KarlMartell

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„Sie hat alle Morde mitgetragen“
« on: November 18, 2012, 06:55:36 am »
SPIEGEL-GESPRÄCH

„Sie hat alle Morde mitgetragen“

Generalbundesanwalt Harald Range, 64, über die Anklage gegen die mutmaßliche
NSU-Terroristin Beate Zschäpe, die schwierigen Ermittlungen im größten
Neonazi-Verfahren der Bundesrepublik – und die Fehler der Strafverfolgungsbehörden

SPIEGEL: Herr Generalbundesanwalt, wir
würden mit Ihnen gern über das Versagen
der Justiz im Umgang mit Rechtsterroristen
reden.
Range: (schweigt)
SPIEGEL: Im Zusammenhang mit dem „Nationalsozialistischen
Untergrund“ (NSU)
ist viel über Pannen bei Polizei und Verfassungsschutz
diskutiert worden, aber
kaum über Fehler der Justiz. Wo haben
die Staatsanwälte versagt?
Range: Ich denke, dass da nichts falsch gelaufen
ist. Aber abschließend müssen das
natürlich die Untersuchungsausschüsse
von Bund und Ländern bewerten. Die Zuständigkeit
für diese Morde und Banküberfälle
lag zunächst bei den Staatsanwaltschaften
der Länder. Wir als Bundesanwaltschaft
kommen erst ins
Spiel, wenn es um terroristische
Straftaten geht. Und das wurde
erst im vorigen Jahr erkennbar.
SPIEGEL: Sie wollen sagen, dass
die Staatsanwaltschaft Gera
1998 nach dem Abtauchen der
Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe
Mundlos und Beate Zschäpe zu
Recht keinen Terrorverdacht
erkennen konnte?
Range: Man muss das aus der
damaligen Sicht betrachten.
Seinerzeit wurde die Entwicklung
nicht erkannt. Und wir als
Bundesanwaltschaft sind angewiesen
auf das, was uns aus
den Ländern und vom Bundeskriminalamt
mitgeteilt wird.
SPIEGEL: Im Januar 1998 wurden
bei dem Neonazi-Trio Rohrbomben
gefunden, 1,4 Kilo
TNT und Todesdrohungen gegen Ausländer.
Wie sonst sollen Anzeichen für
Rechtsterrorismus aussehen?
Range: Das haben wir damals in unsere
Prüfung miteinbezogen. Nicht nur die
Staatsanwälte in Gera, auch die Sicherheitsbehörden
haben in dem Trio nur ein
loses Geflecht von Tätern gesehen und
keine terroristisch verfestigte Vereinigung
mit einem einheitlichen Willen und einer
terroristischen Zielsetzung.
SPIEGEL: Wenn die Justiz schon damals
von einer terroristischen Vereinigung ausgegangen
wäre, hätte es 2003 keine Verjährung
gegeben. Es wäre weiter gegen
das Trio ermittelt worden.
Range: Im Nachhinein ist man immer
schlauer. Ich stecke nicht in den Schuhen
der seinerzeit ermittelnden Staatsanwaltschaft
und möchte deshalb niemandem
einen persönlichen Vorwurf machen. Es
gab damals vielleicht Fehleinschätzungen,
aber sicher keine falschen oder
unvollständigen Informationen in dem
Sinne, dass man uns bewusst etwas vorenthalten
hat. Wir gehen in unserer Anklage
ja auch davon aus, dass der Plan
des Trios, Mordanschläge zu verüben,
erst nach dem Abtauchen 1998 gereift ist.
SPIEGEL:Was kann die Justiz aus den Fehlern
lernen?
Range: Wir müssen noch besser zusammenarbeiten,
uns mehr austauschen. Entscheidend
ist, dass sich die Mentalität
verändert, dass man sagt: Moment, das
könnte etwas für den Generalbundes -
anwalt sein.
SPIEGEL: Sie haben nun Anklage gegen
Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer
des NSU erhoben.
Range: Das war eine Herkulesarbeit. Wir
haben, hauptsächlich aus dem Bauschutt
des ausgebrannten Hauses in Zwickau,
insgesamt 6800 Beweisstücke zusammengetragen
und rund 1200 Zeugen vernommen.
Bei uns führten zehn Staatsanwältinnen
und Staatsanwälte die Ermittlungen,
das Bundeskriminalamt hatte zeitweise
über 400 Beamte im Einsatz. Neben
unseren eigentlichen Aufgaben mussten
wir für die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse,
vor allem für den in
Berlin, alle Akten seit 1992 sichten, die
einen Bezug zum NSU aufweisen könnten
– parallel zu den Ermittlungen. Das
war eine ganz besondere Herausforderung,
auch logistisch.
SPIEGEL: Spüren Sie die hohen Ewartungen
der Hinterbliebenen?
Range: Ja, die spüren wir sehr stark, nicht
nur bei den Opfern und ihren Angehörigen.
Ich war auf mehreren Veranstaltungen
in Einrichtungen
insbesondere unserer türkischen
Mitbürger. Da spürte
man in den Diskussionen sehr
intensiv die Verunsicherung.
SPIEGEL: Überlädt dieser gesellschaftspolitische
Druck ein solches
Verfahren?
Range: Wir mussten uns davon
frei machen. Auch von der Frage
eines NPD-Verbots, in der
von uns Fakten erwartet wurden.
Es gab im Ausschuss teilweise
schon Unmut über unsere
Zurückhaltung. Das, was wir
vorzutragen hatten, habe doch
alles schon im SPIEGEL gestanden,
ob wir nicht mehr zu
bieten hätten? Ich habe mich
dennoch nicht zu voreiligen
Bewertungen hinreißen lassen.
Wir können nur liefern, was belastbar ist.
Der NSU war nicht der bewaffnete Arm
der NPD.
SPIEGEL: Einer Ihrer Ermittler hat gesagt,
es gehe auch um Wiedergutmachung für
die Familien der Opfer, weil die Ermordeten
lange selbst unter Generalverdacht
gestellt wurden. Teilen Sie diese Sicht?
Range: Ich denke schon, dass wir mit unseren
Ermittlungen wieder Vertrauen in
den Staat schaffen können. Es war aber
auch nicht falsch, dass man damals das
Umfeld der Opfer intensiv untersucht hat.
Heute können wir Verschwörungstheo-
rien aller Art ausschließen. Die Organisierte
Kriminalität hat keine Rolle gespielt.
Der NSU hatte keine Verbindung
zu anderen Gruppierungen.
SPIEGEL: Ihr Stellvertreter Rainer Griesbaum
hat die Ermittlungen mit dem Schälen
einer Zwiebel verglichen. Man habe
Schicht um Schicht abtragen müssen, um
an das Innere zu gelangen. Wie nah sind
Sie diesem Inneren gekommen?
Range: Ziemlich nah. Es gab anfangs Spekulationen,
ob es noch andere Morde des
NSU gab, andere Banküberfälle, weitere
Straftaten oder weitere Mitglieder und
ein breites Unterstützernetz. Die intensiven
Ermittlungen haben diesen Spekulationen
den Boden entzogen. Der NSU
war nach unserer Überzeugung eine
Gruppe aus drei Mitgliedern, die sich auf
einige wenige Unterstützer und Gehilfen
verließ. Anhaltspunkte für weitere Mordanschläge
oder Raubüberfälle haben wir
nicht gefunden.
SPIEGEL: Auch außerhalb des engen Unterstützerkreises
gab es Leute, denen die
Existenz des NSU bekannt war, etwa der
langjährige NPD-Funktionär David Pe -
tereit. In dessen Neonazi-Postille wird
der NSU bereits 2002 erwähnt. Bleibt
dieser Teil der historischen Wahrheit außen
vor, weil er strafrechtlich nicht zu
ahnden ist?
Range: Dass der NSU mit Herrn Petereit
kommuniziert hat, ist die eine Sache. Ob
der aber gewusst hat, dass das Trio verantwortlich
für eine Mordserie ist, ist etwas
anderes. In der Anklage taucht dieser
Vorgang trotzdem auf, weil er belegt, wie
der NSU nach außen auftrat. Ob es vollständig
gelingt, mit den Mitteln des Strafprozessrechts
die historische Wahrheit zu
ermitteln, kann man nie sagen. Aber das
Gerichtsverfahren war von jeher der einzige
Ort, wo man der Wahrheit sehr nahe
kommt. Ich habe großes Vertrauen, dass
uns das auch in diesem Verfahren gelingen
wird.
SPIEGEL: Der Bundesgerichtshof hat gerügt,
für das Ergründen der historischen
Wahrheit sei keine Zeit. Mussten Sie
manches im Dunkeln lassen?
Range: Nein. Es kommt nun letztlich
dar auf an, was im Gerichtssaal heraus -
gearbeitet wird. Das ist die Wahrheit, die
man herausfinden kann. In einem Rechtsstaat
gibt es Grenzen, die sich schon aus
der Menschenwürde der Angeklagten ergeben,
weil man niemanden zwingen
kann, sich selbst zu belasten. Folter gibt
es bei uns nicht, und das ist auch gut so.
SPIEGEL: Haben Sie herausfinden können,
welche Motive die Täter hatten?
Range: Zentrales Motiv war die Verun -
sicherung unserer Mitbürger ausländischer
Herkunft – mit dem Ziel, dass sie
Deutschland aus Angst um ihre Sicherheit
verlassen.
SPIEGEL: Und haben Sie aufklären können,
wie die Opfer ausgewählt wurden?
Range: Da haben wir keine letztgültige
Antwort. Sie sind zufällig ausgewählt, die
Täter hatten vorher keinen Kontakt zu
ihnen. Aber man hat sich anhand von
Plänen genau überlegt, wo man die Anschläge
am besten verüben kann und wer
in Frage kommt.
SPIEGEL: Warum ist die Gruppe beim
Anschlag auf die beiden Polizisten in
Heilbronn 2007 von ihrem Muster ab -
gewichen?
Range: Wirklich abgewichen ist sie da
gar nicht. Wenn man sich die Beken -
ner-DVD genau ansieht, wird deutlich,
dass auch der Staat getroffen werden
sollte: Es gibt da eine Szene, in der ein
Polizeibeamter symbolisch mit Kopfschuss
hingerichtet wird. Diese Sequenz
wurde nach unseren Erkenntnissen
schon 2006 in das Video eingebaut, also
Monate vor dem Mordanschlag von Heilbronn.
SPIEGEL:Warum ausgerechnet Heilbronn?
Range: Da kann man bloß spekulieren.
Letztlich passt Heilbronn aber in das Tat-
ortmuster: eine Industriestadt mit relativ
hohem Migrantenanteil.
SPIEGEL: Während der Mordserie gab es
keine Bekennerschreiben, die Selbstbezichtigung
ist erst postum erfolgt. Haben
Sie eine Erklärung dafür?
Range: Ich denke, das war Teil der Strategie.
Die Taten sollten aus sich selbst her -
aus das Ergebnis bringen, und erst am
Ende folgte die Bekennung. Es gab offenkundig
ein Ausstiegsszenario der
NSU-Mitglieder, vermutlich für den Fall,
dass ihnen die Flucht gelungen wäre. Als
sie sahen, dass das nicht klappt, hat
Mundlos erst Böhnhardt und dann sich
selbst umgebracht, und Frau Zschäpe hat
das Szenario alleine durchgezogen.
SPIEGEL: Wollten sich die Mörder damit
ein Denkmal setzen?
Range: So kann man es sehen.
SPIEGEL: Wer hatte welche Aufgaben innerhalb
des NSU?
Range: Nach unserer Auffassung hat die
Gruppierung alles gemeinsam geplant, organisiert
und letztendlich durchgeführt.
Bildlich gesprochen kann man sagen: Zwei
Menschen haben getötet, und die dritte
Person hat „Schmiere“ gestanden. Nicht
direkt am Tatort, sondern in der Form,
dass sie die Tarnung und die Logistik übernommen
hat. Durch das Ab sichern der
Wohnung als unverzichtbare Aktionszentrale
des NSU, der Pflege der Legenden,
durch das Führen der gemeinsamen Kasse.
Wir sehen Beate Zschäpe deshalb in vollem
Umfang als Mittäterin, sie hat alle
Morde und Überfälle mitgetragen.
SPIEGEL: Aber war Zschäpe auch an der
Planung der Morde beteiligt?
Range: Ich kann dem gerichtlichen Verfahren
nicht vorgreifen. Aber es gibt
einige Indizien, die bereits bekannt sind.
Etwa Fingerspuren von ihr auf Zeitungsartikeln
zu NSU-Anschlägen, die im
Brandschutt in Zwickau gefunden wurden.
Außerdem wurden dort auch zahlreiche
Ausspähnotizen sichergestellt. Für
mich heißt das, sie wusste, was passiert.
SPIEGEL: Das ist alles?
Range: Ein weiteres wichtiges Indiz ist ein
Anruf von einer Telefonzelle in Zwickau
auf ein Handy in München zeitnah zu
einem der Morde 2005. Und es gibt eine
Aussage, nach der Frau Zschäpe in unmittelbarer
Nähe eines Tatortes in Nürnberg
gewesen ist.
SPIEGEL: Aber reicht das für die von Ihnen
angestrebte Verurteilung wegen Gründung
einer terroristischen Vereinigung,
zehnfachen Mordes, schwerer Brandstiftung
und 15 Raubüberfällen?
Range: Sie müssen das im Kontext sehen.
Frau Zschäpe hat sich aktiv an der Diskussion
um den bewaffneten Kampf der
Gruppe beteiligt und war mit ihren Komplizen
fast 14 Jahre lang in der Illegalität.
Die Indizien fügen sich zu einem Gesamtbild,
das wir so bewerten müssen. Meine
Überzeugung ist deshalb, dass sie nicht
nur Gehilfin oder gar bloße Begleiterin
war, sondern gleichrangig agierte.
SPIEGEL: Muss Zschäpe mit einer Verurteilung
wegen „besonderer Schwere der
Schuld“ rechnen?
Range: Angesichts des Anklagevorwurfs
steht diese Frage natürlich im Raum.
SPIEGEL: Liegen die Voraussetzungen für
eine Sicherungsverwahrung vor?
Range: Wir haben in der Anklageschrift
dargelegt, dass die formellen Voraussetzungen
für die Sicherungsverwahrung
vorliegen. Ob sie letztlich angeordnet
wird, muss das Gericht entscheiden.
SPIEGEL: Ist es politischem Druck geschuldet,
dass Sie das Maximum möglicher
Vorwürfe ausreizen?
Range: Der einzige Druck, den ich habe,
ist, den Sachverhalt aufzuklären und
dann dem Gericht zur Verhandlung vorzulegen.
Es mag andere Situationen geben,
etwa bei Spionageverfahren, bei denen
auch mal politische Erwägungen der
Regierung eine Rolle spielen können.
Aber nicht bei Mord.
SPIEGEL: Eine terroristische Vereinigung
muss juristisch aus mindestens drei Personen
bestehen. Wenn Sie Zschäpe die
Mitgliedschaft im NSU nicht nachweisen
können, fällt die Konstruktion in sich zusammen.
Range: Neben den bereits erwähnten Indizien
gibt es Aussagen, wonach die drei
immer als Einheit auftraten. Dass es sich
um eine terroristische Vereinigung handelt,
hat im Übrigen auch der Bundesgerichtshof
nie bezweifelt.
SPIEGEL: Die Anklage basiert trotzdem
hauptsächlich auf Indizien.
Range: Eindeutig, das wird ein Indizienprozess.
Zwei von drei mutmaßlichen
Tätern sind tot, eine hat überlebt und
sagt nichts. Wir müssen Indiz um Indiz
zu einem Gesamtbild zusammenfügen.
SPIEGEL: In welcher Rolle sehen Sie den
mutmaßlichen NSU-Helfer André E., bei
dem die Anklage lange fraglich schien?
Range: Aufgrund seiner engen, freundschaftlichen
Beziehungen war er sehr nah
an der Gruppe dran. Nach unseren Erkenntnissen
hat er persönlich die Wohnmobile
für zwei Raubüberfälle und einen
Bombenanschlag der Gruppe angemietet.
SPIEGEL: Der fragliche Bombenanschlag
wurde allerdings bereits Anfang 2001 verübt
– und Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung verjährt nach zehn
Jahren.
Range: Beihilfe zum Mord verjährt nicht.
Und nach unserer Bewertung hat André
E. billigend in Kauf genommen, dass mit
Hilfe des von ihm gemieteten Fahrzeugs
ein Mord verübt werden sollte.
SPIEGEL:Wie lange wird der Prozess Ihrer
Einschätzung nach dauern?
Range: Wir haben 5 Angeklagte, 10 Verteidiger,
rund 60 Nebenkläger und knapp
40 Nebenklagevertreter. Es gibt 27 einzelne
Anklagepunkte. Hinzu kommt der
Vorwurf der Mitgliedschaft und der Unterstützung
einer terroristischen Ver -
einigung. Es wird das bislang größte
Verfahren zum Rechtsterrorismus in der
Geschichte der Bundesrepublik. Eine
Prognose zur Dauer wäre vermessen.
SPIEGEL:Was dürfen wir von dem Prozess
erwarten: Recht oder Gerechtigkeit?
Range: Für Gerechtigkeit zu sorgen und
Rechtsfrieden herzustellen ist die Grundaufgabe
des Strafprozesses. Ich erhoffe
mir zudem eine Aufarbeitung der Geschehnisse,
insbesondere im Interesse
der Angehörigen der Opfer. Und ein
Signal, dass die Gesellschaft derartige
Taten nicht hinnimmt, sondern entschieden
reagiert.
SPIEGEL: Haben Sie Anhaltspunkte dafür,
dass Beate Zschäpe reden wird?
Range: Nein. Aber das ist in einem Prozess
nicht ungewöhnlich. Die Verteidigungsstrategie
ist häufig darauf ausgerichtet,
erst mal abzuwarten, welche
„Pfeile“ die Staatsanwaltschaft „im Köcher“
hat. Letztlich muss Frau Zschäpe
das selbst entscheiden. Ich bin gespannt.
SPIEGEL: Was sagen Sie den Angehörigen
der Opfer, wenn es Freisprüche gibt?
Range: Das ist der Preis des Rechtsstaates.
Aber ich bin zuversichtlich, dass mir diese
Frage erspart bleibt.
SPIEGEL: Herr Generalbundesanwalt, wir
danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten die Redakteure Dietmar Hipp,
Sven Röbel und Holger Stark.

DER SPIEGEL 47/2012, S. 38-41

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KarlMartell

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Re: „Sie hat alle Morde mitgetragen“
« Reply #1 on: December 15, 2012, 06:44:38 pm »
Interview mit Verteidiger Wolfgang Stahl "Die Anklage gegen Zschäpe ist konstruiert"
zuletzt aktualisiert: 14.12.2012 - 18:23

Düsseldorf (RP). Der Verteidiger der mutmaßlichen Terroristin Beate Zschäpe erläutert im Gepräch mit unserer Redaktion sein Mandat und nimmt Stellung zum politischen Druck auf die Richter.


Herr Stahl, wie kommt man zu solch einem Mandat? Als Szene-Anwalt sind Sie nicht bekannt.

Stahl Ich arbeite seit Jahren mit meinem Kölner Kollegen Wolfgang Heer erfolgreich und gut zusammen. Er hat mich gefragt, ob ich bereit bin, die Verteidigung mit zu übernehmen. Auch Kollege Heer kam allein wegen seines Rufs als Strafverteidiger zu dem Mandat. Ich glaube, Justiz und Rechtsstaat können dankbar sein, dass in dem Verfahren Verteidiger tätig sind, die neutral sind und keine Gesinnung verteidigen.

Hatten Sie auch Zweifel?

Stahl Wegen des rechtsextremistischen Hintergrunds hatten wir natürlich auch die Sorge, dass man uns für bekennende Anwälte halten könnte. Aber erfreulicherweise hat die Öffentlichkeit sehr genau gesehen, dass wir ohne Ansehen der Person unserem verfassungsmäßigen Auftrag der Strafverteidigung nachkommen.

Gab auch die historische Dimension des Verfahrens den Ausschlag?

Stahl Für jeden Strafverteidiger ist ein solches Verfahren fachlich eine große Herausforderung. Ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft ist juristisch auf höchstem Niveau angesiedelt. Natürlich führt die Übernahme einer solchen Verteidigung auch zu Medienpräsenz. Die dadurch erlangte Bekanntheit als Verteidiger ist aber nicht nur Chance, sondern auch Risiko.

Die Bundesanwaltschaft wirft Ihrer Mandantin die Mittäterschaft an zehn Morden und 15 bewaffneten Raubüberfällen vor, zudem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, besonders schwere Brandstiftung und versuchten Mord in 25 Fällen, außerdem die Beteiligung an zwei Sprengstoffanschlägen. Hat Sie die Wucht der Vorwürfe am Ende noch überrascht?   

Stahl Uns war natürlich bewusst, dass man versuchen würde, eine Täterschaft unserer Mandantin für alle aufgedeckten strafbaren Handlungen argumentativ darzustellen. Eine mittäterschaftliche Beteiligung von Frau Zschäpe drängt sich aber aus den Akten nicht eben auf. Dass das maximal Mögliche angeklagt wird, ist vermutlich auch dem politischen und öffentlichen Aufklärungsdruck auf die Bundesanwaltschaft geschuldet.

Warum halten Sie die Anklage für konstruiert?

Stahl Nach dem Ergebnis der Ermittlungen war Frau Zschäpe an keinem der Tatorte. Auch aktive Tatbeiträge waren nicht ermittelbar. Man muss argumentativ schon erhebliche Klimmzüge machen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass Frau Zschäpe die Taten als eigene wollte. Der Vorwurf der Mittäterschaft steht auf sehr dünnen Beinen.

Unbestritten hat sie aber doch mehr als 13 Jahre mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zusammengelebt.

Stahl Das ist für sich genommen aber nicht strafbar. Es ist schon sehr ambitioniert, zu behaupten, weil Frau Zschäpe unter anderem 13 Jahre lang im Untergrund gelebt habe, sei sie Mittäterin bei Morden, die nach den Ermittlungen aber von zwei anderen Menschen begangen worden sein sollen.

Aber stellt man sich nicht Fragen – auch die nach der Herkunft des Geldes oder nach der Gesinnung?

Stahl Unterstellt, das war so, wäre es nicht strafbar.

Und die Tatsache, dass Beate Zschäpe bei der Übergabe der Tatwaffe dabei gewesen soll?

Stahl Soll. Das ist auch ein Indiz, das der Generalbundesanwalt sehr stark gewichtet. Es beruht allerdings auf den Angaben eines seinerzeit noch inhaftierten Mitbeschuldigten. Man wird diese Angaben kritisch zu prüfen und zu bewerten haben.

Aus Ihrer Sicht stand der Ankläger unter politischem Druck. Erwarten Sie auch einen politischen Prozess?

Stahl Wir erwarten als Strafverteidiger definitiv keinen politischen Prozess und sind auch überzeugt davon, dass der Strafsenat des Oberlandesgerichts München dazu nicht ansatzweise bereit ist. Man darf aber nicht vergessen, dass die Nebenkläger ein Recht darauf haben, in der Hauptverhandlung Fragen nach den Hintergründen der angeklagten Taten zu stellen, und dass es – Stichwort Verfassungsschutz – auch politische beziehungsweise behördliche Aspekte gibt, die zu problematisieren sein werden. Ich gehe fest davon aus, dass die Nebenkläger auf diese Fragen Antworten erwarten.

Ursula Samary führte das Gespräch

http://www.rp-online.de/politik/deutschland/die-anklage-gegen-zschaepe-ist-konstruiert-1.3105805