Author Topic: Erstmals Kirche in Deutschland in islamisches Gebetshaus umgewandelt  (Read 332 times)

Ben

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Kreuz raus, Turban rein - na und?

Zum ersten Mal wurde in Deutschland eine Kirche in ein alevitisch-muslimisches Gotteshaus umgewandelt. Ein Tabubruch Von Till-R. Stoldt


Einen Moment schaut Klaus Thimm über seine Schulter. Hinter ihm hing beim letzten Mal noch ein Kreuz. Darunter zierte ein Altar mit kleinen Kerzenleuchtern und großer Jahreskerze den Kirchenraum. Er selbst stand an einem Holzpult und predigte. An diesem Tag aber, dem vergangenen Samstag, ist es anders: Wo einst das Kreuz hing, bedecken nun die mannshohen Gemälde dreier Männer die Wand. Es sind alevitische Heilige - mit Bart, Turban und wallenden Gewändern. Der Altar wurde ebenfalls ausgetauscht gegen eine goldbestickte Couch. Und ein Predigerpult gibt's auch nicht mehr.

Denn: Der Gemeindesaal im Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt ist keine Kirche mehr. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wurde hier ein christliches in ein alevitisch-muslimisches Gotteshaus umgewandelt. Wo bislang zu Jesus gebetet wurde, werden fortan der Prophet Mohammed und sein Gefährte Ali verehrt. Man könnte von einem kirchengeschichtlichen Tabubruch sprechen. Bislang waren sich die Kirchen einig, Gotteshäuser dürften zwar in Synagogen, nicht aber in islamische Gotteshäuser umgewandelt werden. Diese Linie vertraten in Deutschland, anders als etwa in Großbritannien, alle Kirchen. Damit wollten sie Unterschieden zum Islam gerecht werden und angesichts verbreiteter Islamisierungsängste heikle Symbolik vermeiden.

Am Samstag kündigte die evangelisch-methodistische Kirche und damit die erste Kirche der Republik diesen Konsens auf. Methodistenprediger Klaus Thimm hält gerade "wegen der Symbolik des Tages" eine fröhliche Abschiedsrede, während Bischof Walter Klaiber betont, er wisse um die Sorgen mancher Alteingesessener: Die Zahl der Christen schrumpfe, die der Gläubigen aus islamisch geprägten Gemeinschaften steige. Und jetzt helfe die Kirche den Muslimen auch noch beim Durchmarsch - so werde mancher Zeitgenosse die Kirchenumwidmung wohl einordnen. Klaiber selbst liest diesen Tag anders: Christen bräuchten sich angesichts der demografischen Entwicklung nicht ängstlich in ein Bollwerk zurückzuziehen. Auch unter den neuen "wachsenden Glaubensgemeinschaften könnten sie vertrauenswürdige Gleichgesinnte" finden. Diesen neuen Freunden dürften Christen zuversichtlich und mit offenen Armen begegnen, sagt er.

Den rund 100 türkischstämmigen Aleviten im Saal gehen solche Sätze runter wie Öl. Andächtig, teils ergriffen sitzen sie an langen Tischreihen, rühren leise klirrend den Löffel durchs Teegläschen und lauschen. Einige werden später berichten, wie sehr sie es genossen hätten: diese Offenheit, diese Nähe. Das hätten sie bei manchen Christen schon anders erlebt (wobei immer wieder Thilo Sarrazin als Beispiel eines solchen "Christen" genannt wird). Entsprechend leidenschaftlich beteuert auch die junge alevitische Geistliche in ihrem Einsegnungsgebet, wie nahe sich Christen und Aleviten stünden. In beiden Gemeinschaften gelte, dass sich "der Weg zu Gott nur über die Liebe zum Menschen" öffne. Bei diesen Worten sehen wiederum die Kirchenvertreter arg gerührt aus. Fast schrammt die Feier das harmonieselige Klischee; so einträchtig plaudern Christen und Aleviten anschließend bei Bulgur und gerollten Weinblättern, so begeistert feiern die christlichen Redner, allen voran Laienprediger Thimm, die Begegnung zwischen Christen und Aleviten als "Bereicherung". Allein: Nichts läge diesem Prediger ferner als klassischer Multikulturalismus. Der freundliche Herr Thimm, im dunklen Anzug mit korrekt sitzender Krawatte, ist bekennender Christdemokrat, dem seine Kanzlerin eher zu locker als zu konservativ ist. Mit Argusaugen verfolgt er überdies die Aktivitäten traditioneller Muslimverbände. Obendrein gehört er einer pietistischen Freikirche an. Auch Bischof Klaiber bezeichnet sich als evangelikal. Ausgerechnet diese theologisch eher konservativen Christen wagen es nun, mit der vorsichtigen Linie aller Kirchen zu brechen - und genießen die Erotik des Dialogs. Wie passt das zusammen?

Die Antwort hat wenig mit der Kirche, aber viel mit den Aleviten zu tun, meint Thimm. Aleviten unterschieden sich fundamental von traditionellen sunnitischen Muslimen. Dieser Einschätzung stimmen fast alle hiesigen Religionswissenschaftler zu. Zwar bezeichnen sich die rund 600.000 türkischstämmigen Aleviten in Deutschland häufig als Muslime, sie weichen vom klassischen Islam aber grundlegend ab. So gelten ihnen neben dem Propheten Mohammed auch der Prophetengefährte Ali, Einheitsmystiker wie Mansur al-Halladsch oder türkische Volksdichter wie Yunus Emre als inspiriert. Und diese Lehrer späterer Jahrhunderte zielten auf eine Reform des Islam: hin zur Verinnerlichung, zum Ideal der Allverbundenheit, zu mehr Herzensgüte und weniger Gesetzesstrenge.

Daher praktizieren Aleviten auch keine Geschlechtertrennung, verzichten auf Pflichtgebete, lehnen Kopftuch und Mekka-Pilgerfahrt ab und achten andere Religionen als Wege zu Gott. Auch ihre Gotteshäuser nennen sie nicht Moschee, sondern Cem-Haus. Inzwischen ist unter Aleviten sogar umstritten, ob sie überhaupt als Muslime zu begreifen seien. Geschadet hat ihnen das nicht. In acht Bundesländern wurde alevitscher Religionsunterricht eingeführt - lange bevor konservativen Muslimverbänden Islam-Unterricht in Aussicht gestellt wurde. Dennoch zögern die Kirchen, Aleviten anders zu behandeln als traditionelle Muslime. Bischof Klaiber hält das für zu kurz gedacht. Er rät, vor allem ein Kriterium anzulegen, wenn es darum gehe, ein Gotteshaus an eine Glaubensgemeinschaft zu verkaufen: die Frage, ob diese Gemeinschaft das "Humanum, das Wohlergehen unterschiedslos aller Menschen, ins Zentrum" stelle. Bei den Aleviten sei dies gegeben. Klaiber geht aber noch weiter. Grundsätzlich könne dieses Kriterium auch von sunnitischen Muslimen erfüllt werden, sagt er. Beispielhaft schwebt ihm der strikt reformerische Liberal-Islamische Bund (LIB) vor. Auch bei solchen sunnitischen Muslimen sollten Kirchen offen prüfen, ob man ihnen Gotteshäuser übergeben könne, fordert er. Sein Argument: Wer sonst könne so glaubwürdig wie die Kirche signalisieren, dass Zuwanderung aus der islamischen Welt kein Grund zum Verzagen sei?

http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article106480587/Kreuz-raus-Turban-rein-na-und.html
« Last Edit: June 09, 2012, 08:46:12 am by Ben »

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