Author Topic: Islam und Sklavenhandel 2  (Read 198 times)

KarlMartell

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Islam und Sklavenhandel 2
« on: September 16, 2012, 12:08:03 pm »
Wenn Eltern im muslimischen Afrika einen Sohn Bilal nennen, wollen sie daran erinnern, wie nahe die Schwarzen dem Propheten standen. Der Sklave Bilal al-Habachi (wörtlich: "der Abessinier") wurde in Mekka freigekauft von Abu Bakr, dem Schwiegervater des Propheten, später erster Kalif. Bilal fiel auf durch seine opferbereite Hingabe an die neue, noch um ihr Überleben kämpfende Religion. Als Freier zog er mit der Prophetengemeinde nach Medina, dort machte ihn Mohammed wegen seiner schönen Stimme zum ersten Gebetsrufer des Islam. Eine hochsymbolische Geste: Der ehemalige Sklave ruft dazu auf, sich vor Gott niederzuwerfen - und nur vor ihm. (Später, bei der Einnahme Mekkas soll Bilal sogar auf die Kaaba geklettert sein, um von dort zu rufen; vermutlich nur eine Legende, doch verewigt in Miniaturmalereien der Mogulzeit. Der Iran hat seine schiitische Missionsagentur in Afrika nach Bilal benannt.

Es mangelt in der Geschichte des Islam nicht an Sklaven, die zu Ruhm und Einfluss gelangten. Etwa die Militärkaste der Mamelucken, die Ägypten fast 260 Jahre lang regierte. Ohne tausende von Söldnern sklavischer Herkunft hätte sich das islamische Herrschaftsgebiet vermutlich kaum so schnell und immens ausdehnen können. Auch der Berbergeneral, der 711 die iberische Halbinsel an der Spitze einer Armee von 7 000 Berbern für die Muslime eroberte, war ein ehemaliger Sklave: Tarik Ibn Sijad, daher rührt der Name Gibraltar (Arabisch: Dschebel Tarik, Berg des Tarik). In Tunesien führten ehemalige Sklaven, manche christlicher Herkunft, die Oberaufsicht beim Bau wichtiger Moscheen. Doch keine andere Geschichte hat sich so tief in die Herzen schwarzafrikanischer Muslime eingeschrieben wie die von Bilal. Beweist sie doch, dass in den Augen Mohammeds der Maßstab zur Beurteilung eines Menschen weder seine Nationalität noch seine Hautfarbe oder sein sozialer Status war, sondern allein seine Frömmigkeit. Unsterblich die Hoffnung, die sich daran knüpft, wie sehr sie auch im Laufe der Jahrhunderte betrogen wurde. Bittere Ironie liegt über dieser jüngsten Szene: Sidi Bilal heißt, nach einem örtlichen Heiligen, das libysche Hafenstädtchen, in dem afrikanische Migranten vergeblich Zuflucht vor den Banden von Aufständischen suchten. Die hatten gerade mit Allahu Akbar auf den Lippen Gaddafi besiegt; Schwarze, ob Muslime oder Christen, wurden gehetzt und gedemütigt, die Frauen zur sexuellen Benutzung eingefordert.

Schauplatz Mauretanien: Kein anderes Land Afrikas ist bis heute derart von den Folgen der Sklaverei geprägt. Obwohl Sklavenhaltung verboten ist, werden Leibeigene noch immer von den Eltern auf die Kinder vererbt - manchmal gar mit Zustimmung der Betroffenen, die sich ein freies Leben nicht vorstellen können. Und viele glauben, ein Sklave, der seinem Herrn nicht gehorcht, komme nicht ins Paradies. Die 3,5 Millionen Mauretanier, fast allesamt Muslime, sind sozial eine tief gespaltene Gesellschaft. Die hellhäutigen Mauren dominieren in Politik und Bildungswesen; die dunkelhäutigen Haratin, zum Teil Nachkommen freigelassener Sklaven, stellen die Mehrheit bei den Landlosen, den Armen, den Ungebildeten. Ehen zwischen beiden Gruppen sind immer noch verpönt.

Im Frühjahr 2011 trat der Architekt Boubacar Ould Messaoud, Vorsitzender von SOS Esclaves, mit anderen Aktivisten in Hungerstreik, um die juristische Ahndung eines aktuellen Falls von Sklaverei zu erzwingen. Er betraf drei Mädchen im Alter zwischen elf und fünfzehn. Ihre maurischen Herrinnen wurden von einem Gericht in Nouakschott verurteilt - das erste Urteil, seit ein Gesetz 2007 Sklavenhaltung unter Strafe gestellt hat. Schon drei Tage später war der Erfolg allerdings zunichte; ein Berufungsgericht kassierte das Urteil.
Sklavenhaltung der Gegenwart

Über Jahrhunderte verrichteten Sklaven in diesem Landstrich praktisch sämtliche Hand- und Feldarbeiten. Wo das heutige Mauretanien an den Senegal grenzt, erhob sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Bewegung der Marabuts, der ländlichen Islamgelehrten, gegen den Sklavenhandel und die Händler, die als schlechte Muslime, gar als Abgefallene gegeißelt wurden. Knapp hundert Jahre später entstand im Gebiet Futa Toro am Senegal-Fluss eine theokratische Republik, die den Sklavenhandel abschaffte. Allerdings war die religiöse Kritik in einem entscheidenden Punkt begrenzt: "Der Islam, der als Waffe der Mobilisierung gegen den Sklavenhandel diente, wurde nicht eingesetzt gegen die örtliche Praxis der Sklavenhaltung", bilanziert der mauretanische Historiker Saidou Kane5; eher wurde die ungleiche Sozialordnung religiös sanktioniert.

Und das ist bis heute so. Als Mauretaniens Regierung im Herbst 2011 verlangte, jeder Einwohner müsse seine Nationalität durch eine Neuregistrierung beweisen, fürchten viele Schwarze, sie sollten ausgebürgert werden; so entstand die Bewegung "Rühr meine Staatsangehörigkeit nicht an". Unvergessen, wie vor gut zwanzig Jahren viele tausend Schwarzmauretanier vor Pogromen in den Senegal flüchten müssen.

Schauplatz Niger: Das Land ist zu 95 Prozent muslimisch, geschätzte 40 000 Menschen leben in informeller Sklaverei. Ein Antisklavereiverband ermutigte 2008 eine junge Frau, beim Gerichtshof der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas gegen ihr Land zu klagen. Hadizatou Mani war als Zwölfjährige vom Besitzer ihrer Mutter verkauft worden; sie durchlitt ein Jahrzehnt als Haus- und Sexsklavin und fand danach noch die Kraft, für ein Leben als Freie zu kämpfen. Mit Erfolg: Die Regierung musste ihr 15 000 Euro Entschädigung zahlen.

Selbstbewusstsein und zivilgesellschaftliche Solidarität - das sind neue Antworten auf uralte Abhängigkeiten. Doch es gibt auch das Gegenteil: eine Kultur der Regression, die Verklärung von Abhängigkeit. Beobachtung in einem abgelegenen Saheldorf, wo die Realität des Lebens Armut und Machtlosigkeit zu verewigen scheint: Eine Gruppe der Einwohner nennt sich Jon, in der Sprache der Bambara heißt das Sklave, Gefangener. Die Jon bauen sich eine eigene Moschee, sie suchen nach einem Lehnsherrn, von dem sie Unterstützung verlangen, und sie pflegen eine eigene Folklore, eine Sklavenfolklore. In einem Tanz stellt eine Frau mehr als üblich ihre körperlichen Reize zur Schau, ihre Brüste, ihren Hintern. Bei einem anderen Tanz nehmen die Frauen das Tuch ab, das sie sonst zur Rolle gedreht auf dem Kopf tragen, und gürten sich damit wie für eine schwere Arbeit. Die Geste signalisiert den Zuschauern: Wir sind bereit, bis zum bitteren Ende zu gehen. Von Sklaven abzustammen, ist zum Kern eigener Identität geworden.

Schauplatz Sudan: In fast jeder Etappe der turbulenten Geschichte des Sudan spielte die Beschaffung von Sklaven eine Rolle. Heute ist die Begegnung des arabischen mit dem afrikanischen Kulturraum in der Wahrnehmung der Medien auf ein bestimmtes Klischee reduziert: Arabische Reiterhorden massakrieren schwarze Opfer. Täter und Opfer sind im Sudan früher wie heute nicht nach schlichten ethnischen Kriterien zu sortieren. Aber die geschichtliche Nord-Süd-Achse der Versklavungen, in Ägypten beginnend, hat ihre Verheerungen bis in unsere Tage hinterlassen. Mitte des 19. Jahrhunderts benutzten nordsudanesische Händler bei der Menschenjagd im Süden sogenannte zaraib, große Dornengehege, wie ambulante Gefängnisse. "Das Vorgehen war äußerst brutal, und die Erinnerung daran bildet heute noch den Kern des Ressentiments, das die Südsudanesen gegen den Norden hegen", schreibt der französische Historiker Gérard Prunier.(6 )Auf den Schiffen, die damals in Khartum ankamen, gedrängt voll mit Sklaven, waren Lebende und Tote aneinander gekettet. Nach einem Mann, der mit diesem Menschenhandel schwerreich wurde, Zubeir Pasha, ist eine Straße im Zentrum Khartums benannt.

Als der osmanische Kalif 1876 die Sklaverei für abgeschafft erklärte, herrschte unter den Gelehrten zunächst Verwirrung. Wie konnte etwas verboten werden, was der Koran explizit erlaubt? Dann besannen sie sich darauf, dass der Geist des Korans auf die Gleichheit aller Menschen ziele. Heute wollen nicht mal die rückwärtsgewandten Salafisten die Sklaverei als genuinen Bestandteil des Islam betrachten - in dieser Einhelligkeit ein einmaliger Fall intellektueller Reform. Den Geist des Korans von den überlebten Institutionen des siebten Jahrhunderts zu befreien, das verlangen muslimische Feministinnen zum Beispiel beim Erbrecht immer noch vergeblich. "Leider haben die muslimischen Gelehrten diese kontextuelle Lesart nicht von der Sklaverei auf andere Felder des Personenstandsrechts ausgeweitet", schreibt die tunesische Koranexegetin Olfa Youssef.(7 )

Für die allermeisten Muslime scheint die Sklaverei heute so komplett aus dem Bezugsrahmen ihrer Religion verschwunden zu sein, dass eine kritische Betrachtung islamischer Herrschaftsgeschichte gar nicht aufkommen mag. Das gilt sogar für die Opferseite, also für jene Afrikaner, die den meisten Grund für Fragen hätten. Der europäische Sklavenhandel hat durch die nachfolgende koloniale Herrschaft die afrikanische Erinnerungslandschaft überlagert. Schon in den antikolonialen Kämpfen galt der Islam als eine Religion der Befreiung.

Außerdem: Nur wenige Intellektuelle aus dem subsaharischen Afrika wagen sich an die riskante Frage nach der Rolle der einheimischen Eliten beim Sklavenhandel. Wie afrikanische Führer jener Zeit den europäischen Händlern zuarbeiteten, das ist bereits ein heißes Eisen. Wer die Versklavung durch Araber und durch afrikanische Muslimführer zum Thema macht, muss sich vorhalten lassen, er greife den Glauben an und betreibe das Spiel des Westens.

Gerade darin aber zeigt sich, wie aktuell der Rückblick auf die Sklaverei ist, zumal in der Zeit der arabischen Aufstände. Denn es geht um Herrschaftsverhältnisse und um das Bild vom Menschen. Die Auffassung, wie sie ein Jahrtausend im Islam gültig war, nämlich dass nur der Gläubige im Vollbesitz von Rechten und Menschenwürde sei, zeigt bis heute Spuren: Die Weltgemeinschaft der Muslime versteht sich als Lobby für die Rechte von Muslimen, nicht als Verteidigerin der Rechte aller Menschen - und das lässt dem westlichen Menschenrechtsimperialismus freie Bahn. So war es jedenfalls bisher. Nun verbreitet sich mit dem Ende der Diktatoren der Gedanke, dass die Universalität der Menschenrechte auch für Muslime akzeptabel ist - und sogar von ihnen verteidigt werden kann, gegen die eigenen Führer wie gegen den Westen.

Der Rest ist Psychologie. Die lange Periode der Sklavenhaltung habe die politischen Sitten der arabischen Welt tief beeinflusst, meint der marokkanische Historiker und Soziologe Mohammed Ennaji. Gerade weil sich im Orient die Stellung vieler Sklaven von anderen Abhängigkeitsverhältnissen nicht so grundlegend unterschied, habe das Sklaventum die generelle Einstellung zu Macht und Autorität geprägt - und den autokratischen Regimen eine lange Lebenszeit beschert. Die arabischen Gesellschaften, folgert Ennaji, können erst zu einer Zukunft in Freiheit finden, wenn sie beginnen, ihre eigenen Geschichtslegenden zu dekonstruieren, und sich ihrem ganzen historischen Erbe stellen.

Fußnoten:
(1) Paul E. Lovejoy, "Transformations in Slavery. A History of Slavery in Africa", Cambridge (Cambridge University Press) 2000.
(2) Zum Beispiel der Rostocker Althistoriker Egon Flaig, "Weltgeschichte der Sklaverei", München (Beck) 2009. Der senegalesisch-französische Anthropologe Tidiane N'Diaye macht sich zum muslimischen Kronzeugen für die These, der Sklavenhandel durch die "arabomuslimischen Räuber" sei "weitaus verheerender" gewesen als der transatlantische. Die Araber hätten "die schwarzen Völker in Finsternis getaucht" und 13 Jahrhunderte lang den afrikanischen Kontinent "ununterbrochen geplündert". In: "Der verschleierte Völkermord", Reinbek (Rowohlt) 2010.
(3) Quick ist Konvertit, als populärer Prediger häufig auf Vortragsreise in Afrika: www.hakimquick.com.
(4) Malek Chebel, "L'Esclavage en Terre d'Islam. Un Tabou bien gardé", Paris (Fayard) 2007. Chebel hat in zahlreichen Ländern recherchiert und viele historische Dokumente veröffentlicht.
(5) Siehe sosesclaves.org/EsclavageMauritanie/Saidoukane_Histoire_Esclavage.htm. Kane starb 2006.
(6) Gérard Prunier, "Darfur. Der ,uneindeutige' Genozid", Hamburg (Hamburger Edition) 2007.
(7) Olfa Youssef, "Le coran au risque de la psychanalyse", Paris (Albin Michel) 2007.
Charlotte Wiedemann ist Journalistin und Autorin, zuletzt erschien von ihr: "Ihr wisst nichts über uns! Meine Reisen durch einen unbekannten Islam", Freiburg (Herder) 2008.

© "Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique Nr. 9700 vom 13.1.2012, 580 Zeilen, Charlotte Wiedemann

http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/01/13.mondeText.artikel,a0050.idx,14

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