Author Topic: "Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden"  (Read 2576 times)

KarlMartell

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Re: "Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden"
« on: April 14, 2013, 07:56:14 am »
7. Die Scheidung
15. April 2008

Der große Tag ist gekommen, schneller als erwartet! So viele Menschen! Der Gerichtssaal ist zum Bersten voll. Beeindruckend. All diese Leute, die sich da auf den Zuschauerbänken drängeln, sind die etwa alle wegen mir gekommen? Shada hat mich vorgewarnt. Die Vorbereitungen haben viel Zeit in Anspruch genommen. Doch Shadas Pressearbeit hat Früchte getragen. So sehr, dass sie angesichts dieser Menschenmenge nicht weniger überrascht scheint als ich! Etwa eine Woche ist seit unserer ersten Begegnung verstrichen. Eine Woche Zeit, um mit der Presse, dem Fernsehen, den Frauenorganisationen zu sprechen. Und dies ist das Ergebnis. Ein Wunder! Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Fotoapparate und Filmkameras gesehen. Sind es die vielen Menschen im überfüllten Saal, die mir die Luft zum Atmen nehmen, oder habe ich einfach Lampenfieber? Unter meinem schwarzen Kopftuch bin ich schweißgebadet.

»Nojoud, bitte lächeln«, ruft ein Fotograf, der sich unter Einsatz seiner Ellbogen zu mir durchkämpft.

Kaum ist er bei mir angekommen, da richtet sich eine ganze Batterie von Objektiven auf mich. Sogar Videokameras sind dabei! Ich erröte. Das viele Blitzlicht kann einem richtig Angst machen. Und nirgends in der Menge ein bekanntes Gesicht. All diese Leute, die mich anschauen … Ich halte mich an Shada fest. Ihr Duft hilft mir. Der Duft von Jasmin, der mir mittlerweile so vertraut ist. Sie ist wie eine zweite Mutter für mich, Shada!


»Khaleh Shada«, frage ich, »Tante Shada?«

»Ja, Nojoud?«

»Ich habe Angst.«

»Wir schaffen das schon. Wir schaffen das«, flüstert sie mir zu.

Ich hätte mir nie vorstellen können, dass sich so viele Leute für mich interessieren könnten. Für mich, die ich so viele Monate lang still gelitten hatte. Nun stand ich plötzlich mitten im Rampenlicht, wurde von Journalisten belagert.

Shada hatte mir doch versprochen, es kämen keine, es wären überhaupt keine anderen Leute da. Was soll ich nun sagen, wenn sie anfangen, mir Fragen zu stellen? Ich habe nicht gelernt, wie man das macht.

»Shada?«

»Ja, Nojoud?«

»Diese vielen Blitzlichter, das ist ja, wie wenn … wie wenn Bush kommt, dieser Amerikaner, den man immer im Fernsehen sieht.«

Shada lächelt.

»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagt sie.

Ich versuche, tapfer zu lächeln. Doch innerlich bin ich wie gelähmt. Ich kann mich kaum bewegen, mir ist, als seien meine Füße an den Boden genagelt. Da steht eine große Frage vor mir, die mir Angst macht. Wie geht das überhaupt, Scheidung, was heißt das eigentlich? Ich habe ganz vergessen, Shada danach zu fragen. In der Schule haben wir nie über solche Sachen geredet. Auch wenn ich mit Malak, meiner besten Freundin, immer über alles gesprochen habe. Aber doch nie über so etwas. Wahrscheinlich haben wir uns gedacht, das ist ein Thema für die Großen, und wir fühlten uns noch zu klein, um uns mit solchen Dingen zu beschäftigen. Und jetzt fällt mir ein, dass ich nicht einmal weiß, ob meine Lehrerinnen verheiratet oder geschieden waren. Es ist mir nie eingefallen, sie danach zu fragen. Daher ist es nicht so einfach für mich, meine Geschichte mit der von anderen Frauen zu vergleichen.

Da schießt mir ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf: Und wenn das Monster einfach »nein« sagt? Was soll ich tun, wenn er sich der Trennung widersetzt, wenn er, seine Brüder und die anderen Männer des Dorfs im Rücken, den Richter mit seinem jambia bedroht? Was dann?

»Hab keine Angst, alles wird gutgehen«, sagt Shada und legt mir beruhigend die Hand auf die Schulter.

Ich hebe den Kopf, um sie besser sehen zu können. Wahrscheinlich hat sie nicht viel geschlafen. Sie hat Ringe unter den Augen und sieht müde aus. Alles wegen mir, das ist mir unangenehm. Aber auch wenn sie müde ist, Shada ist immer schön. Und elegant. Wie eine Frau aus der Stadt! Sieh mal an, sie trägt heute ein anderes Kopftuch, es ist rosa, wie ihre Tunika. Eine meiner Lieblingsfarben! Heute trägt sie einen langen grauen Rock und Schuhe mit hohen Absätzen. Ich bin froh, sie an meiner Seite zu haben.

Da bemerke ich, wie mir aus der Menge heraus jemand zuwinkt. Das ist Hamed Thabet, der Reporter der »Yemen Times«! Endlich jemand, den ich kenne. Hamed, mein neuer Freund, er ist wie ein großer Bruder, ein echter, nicht einer wie Mohammad. Eine Bekannte von Shada hat ihn uns vorgestellt. Er ist groß und gebräunt, hat ein rundes Gesicht, ich fand ihn gleich sehr nett. Ich habe keine Ahnung, wie alt er genau ist. Ich habe mich nicht getraut, ihn danach zu fragen. Wir sind uns erst vor wenigen Tagen zum ersten Mal begegnet, im Hof des Gerichtsgebäudes, fast an der gleichen Stelle, wo mir kurz zuvor Shada über den Weg gelaufen ist.


Erst hat er mich gefragt, ob er ein Foto von mir machen darf, und dann sind wir in ein kleines Restaurant ganz in der Nähe des Gerichts gegangen. Mit einem Kugelschreiber und einem Notizblock in der Hand hat er mir viele Fragen gestellt: über meine Eltern, über meine Ehe, über Khardji, über die erste Nacht … Mit Schamröte im Gesicht habe ich ihm meine Geschichte erzählt. Aber als ich sah, wie er schmerzlich das Gesicht verzog, als ich den Blutfleck auf dem Laken erwähnte, da wusste ich, dass er Mitgefühl hatte. Ich konnte sehen, wie er unwillkürlich mit seinem Kugelschreiber auf dem Tisch trommelte. Sosehr er sich bemühte, seine Gefühle zu verbergen, ich bemerkte doch, dass ihm die Geschichte zu Herzen ging. Sie machte ihn zornig, er litt mit mir mit, das war nicht zu übersehen.

»Aber du bist doch noch so klein! Wie konnte er nur?«, murmelte er.

Seltsam, dass ich diesmal nicht zu weinen anfing. Nach einigen Minuten Schweigen fuhr ich fort:

»Ich wollte draußen spielen, wie alle Kinder in meinem Alter. Aber er hat mich geschlagen und mich gezwungen, mit ihm ins Schlafzimmer zu gehen, wo er schmutzige Sachen von mir verlangt hat. Er hat mich immer nur mit Schimpfwörtern angeredet.«

Als wir uns verabschiedeten, war Hameds Notizblock ganz vollgekritzelt. Er hat alles aufgeschrieben, jedes Wort. Es ist ihm dann sogar gelungen, sich Einlass im Gefängnis zu verschaffen und mit seinem Handy Fotos von Aba und dem Monster zu machen. Einige Tage später erzählte mir Shada, dass sein Artikel erschienen ist und im Jemen einen ziemlichen Wirbel ausgelöst hat. Hamed ist der erste Journalist, der meine Geschichte erzählt hat. Erst war mir das alles peinlich, das ist wahr. Aber heute weiß ich, dass ich ihm viel verdanke.

Unter Blitzlichtgewitter betrete ich den Gerichtssaal.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Eskortiert von zwei Soldaten mit schwarzem Barett und olivgrüner Uniform, erkenne ich Aba und … ihn. Beide sehen wütend aus. Das Monster schlägt die Augen nieder, als es an uns vorbeigeht, dreht sich dann aber plötzlich nach Shada um.

»Sie sind wohl stolz, wie? Ich habe kein richtiges Hochzeitsfest gehabt. Aber dafür haben Sie jetzt gesorgt, für ein richtiges Fest!«, zischt er sie an.

Wie kann er es wagen, so mit ihr zu reden? Kommt es nun so, wie ich befürchtet habe? Doch Shada bleibt erstaunlich ruhig. Sie senkt nicht einmal den Blick. Ihre Stärke beeindruckt mich. Sie braucht nicht wild herumzufuchteln, um ihre Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Ihr Blick zeigt deutlich genug, welche Verachtung sie für ihn empfindet. Nur ein Blick, das ist alles. Ich habe in den letzten Tagen viel von ihr gelernt.

»Hör einfach gar nicht hin«, rät sie mir.

Sosehr ich versuche, nach dem Vorbild von Shada meine Gefühle unter Kontrolle zu halten, es will mir nicht gelingen. Jedenfalls noch nicht. Keine Chance, mein Herz beginnt zu klopfen. Ich hasse ihn so sehr, nach allem, was er mir angetan hat! Ich hebe den Kopf, und mein Blick kreuzt den von Aba. Er sieht gequält aus. Ich muss mich zusammenreißen. Aber ich habe Angst, dass er mir sein ganzes Leben lang nicht verzeihen wird. Die Ehre, sagt er. Die Ehre. Wenn ich sein Gesicht sehe, fange ich an zu begreifen, was dieses schwierige Wort sagen will. Ich sehe in seinen Augen Wut und Scham zugleich. Die vielen Kameras, die sich auf ihn richten. Ich bin so zornig auf ihn, und dennoch habe ich Mitleid. Ich kann nicht dagegen an. Vor Männern hat man eben Respekt, so ist das im Jemen.

»Was für ein Gewühle!«, entfährt es einem Saalordner. »So voll war es hier im Gerichtssaal noch nie!«

Schon geht das Blitzlichtgewitter wieder los. Anscheinend ist eine wichtige Persönlichkeit gekommen. Es ist Mohammad al-Ghazi, der Vorsitzende des Gerichts. Ich erkenne seinen weißen, hinter dem Kopf zusammengeknoteten Turban sofort wieder. Er hat einen schmalen Schnurrbart und einen kleinen Kinnbart. Über seiner weißen Tunika trägt er eine graue Weste. In seinem Gürtel prangt der jambia.

Ich schaue ihn an, verfolge jede seiner Gesten. Jetzt tritt er hinter den Richtertisch, auf dem die vielen Mikrofone der Fernsehsender und Radiostationen stehen.

Er setzt sich, legt einen Stapel Aktenordner vor sich hin. Er sieht aus wie der Staatspräsident, der gleich eine Rede hält. Richter Abdo setzt sich an seine Seite. Wie gut, dass sie da sind, um mir zu helfen! Ich kann immer noch nicht glauben, dass das alles nun Wirklichkeit ist.

»Im Namen Gottes des Allmächtigen und Barmherzigen erkläre ich die Sitzung hiermit für eröffnet«, sagt al-Ghazi und fordert uns mit einer Geste auf, dem Richtertisch näher zu kommen.

Shada gibt mir ein Zeichen, ihr zu folgen. Auch Aba und das Monster treten näher. Ich spüre die unruhige Menge hinter uns. Ein Teil von mir fühlt sich erstaunlich stark. Doch der andere Teil, den ich nicht unter Kontrolle bekomme, würde sich in diesem Augenblick am liebsten in eine kleine Maus verwandeln. Ich stehe mit gekreuzten Armen da und bemühe mich, nicht einfach umzufallen.

Nach einer Weile ergreift schließlich Richter Abdo das Wort:

»Wir haben es hier mit dem Fall eines Mädchens zu tun, das ohne seine Zustimmung verheiratet worden ist. Nach Abschluss des Ehevertrags wurde sie mit Gewalt in den Bezirk Hajjah gebracht. Dort hat sie ihr Mann sexuell missbraucht, denn sie hat noch nicht die Pubertät erreicht und war für diese Art von Beziehung noch gar nicht bereit. Er hat sie nicht nur missbraucht, er hat sie auch geschlagen und beschimpft. Daher ist sie heute hier erschienen und bittet darum, geschieden zu werden.«

Der große Augenblick, den ich so lange erwartet habe, rückt näher. Der Augenblick, in dem die Schuldigen bestraft werden. Wie in der Schule, wenn die Lehrerin uns in die Ecke stellte. Vorausgesetzt, ich gewinne gegen das Monster, vorausgesetzt, er willigt in die Scheidung ein!

Mohammad al-Ghazi klopft einige Mal mit einem kleinen Hammer auf den Tisch.

»Hören Sie mir gut zu«, herrscht er das Monster an, das ich mehr als alles auf der Welt hasse. »Stimmt es, dass Sie vor zwei Monaten dieses Mädchen geheiratet und mit ihr geschlafen, sie auch geschlagen haben? Ist das wahr? Ja oder nein!«

Er fängt an zu blinzeln, ehe er antwortet:

»Nein, das stimmt nicht! Sie und ihr Vater haben in die Heirat eingewilligt.«

Was höre ich da? Wie kann er es wagen? So ein Lügner! Ich hasse ihn!

»Haben Sie mit ihr geschlafen? Haben Sie mit ihr geschlafen?«, wiederholt al-Ghazi.

Eisiges Schweigen senkt sich über den Saal.

»Nein!«

»Haben Sie sie geschlagen?«

»Nein! Ich habe nie Gewalt angewendet.«

Ich klammere mich an den Mantel von Shada. Wie kann er so dreist sein, der Kerl mit seinen gelben Zähnen, seinem schiefen Lächeln und seinen struppigen Haaren? Wie kann er nur einfach so lügen? Das kann ich nicht durchgehen lassen. Ich muss etwas sagen!

»Er lügt!«, entfährt es mir.

Der Richter kritzelt etwas auf sein Blatt. Dann heftet er seinen Blick auf meinen Vater.

»Waren Sie mit dieser Heirat einverstanden?« »Ja.«

»Wie alt ist Ihre Tochter?«

»Meine Tochter ist dreizehn.«

Dreizehn? Niemand hat je zuvor gesagt, ich sei dreizehn! Seit wann bin ich denn dreizehn? Ich dachte immer, ich sei acht, neun oder höchstens zehn Jahre alt! Ich zupfe an meinen Fingern, um die Fassung zu bewahren. Dann höre ich wieder genau hin.

»Ich habe meine Tochter verheiratet, weil ich Angst hatte«, sagt mein Vater. »Ich hatte Angst …«

Seine Augen sind gerötet. Angst? Angst vor was?

»Ich habe sie verheiratet, weil ich Angst hatte, dass sie entführt wird, wie ihre beiden großen Schwestern …«, fährt er fort und hebt die Fäuste zum Himmel. »Schon zwei Töchter sind mir von einem Mann genommen worden! Entführt! Das ist schlimm genug. Er ist jetzt im Gefängnis.«

Ich verstehe nicht richtig, was er da sagt. Seine Antworten sind ausweichend und gewunden. Auch die Fragen des Richters werden immer unverständlicher. Für mich ist es alles andere als einfach, solchen Gesprächen zu folgen. Worte, Worte, nichts als Worte. Erst leise Worte, dann harte und immer härtere, wie Steine, die man an eine Mauer wirft, so dass sie zerspringen.

Unmerklich wird der Wortwechsel immer schneller, der Ton aggressiver. Im Saal wird gemurmelt. Mein Herz klopft immer mehr. Das Monster murmelt Mohammad al-Ghazi etwas zu, das ich nicht verstehe. Der klopft mehrmals energisch mit dem Hammer auf den Tisch.

»Auf Antrag des Ehemanns wird die Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt«, verkündet er.

Er macht uns ein Zeichen, ihm in einen anderen Raum zu folgen. Hier gibt es kein Publikum. Ohne die Menschenmenge fühle ich mich gleich besser. Wo es hier doch um ganz persönliche Dinge geht. Doch es ist noch nicht vorbei mit den Fragen. Ich muss das aushalten.

»Herr Faez Ali Thamer, haben Sie die Ehe vollzogen?«, fragt der Richter.

Ich halte die Luft an.

»Ja«, antwortet er. »Aber ich war zärtlich mit ihr. Rücksichtsvoll. Ich habe sie nicht geschlagen.«

Seine Antwort springt mir ins Gesicht, lässt all die Schläge, Schimpftiraden, Schmerzen wiederaufleben. »Wie bitte, nicht geschlagen? Und alle diese blauen Flecke, und alle die Tränen, die du vor Schmerzen geweint hast? Deine Stunde ist gekommen, du musst etwas tun!«, sagt mir meine innere Stimme. Ich reiße mich zusammen.

»Das stimmt nicht!«, rufe ich laut aus.

Alle schauen mich an. Ich bin wohl selbst am meisten überrascht von dieser Spontaneität, die sonst so gar nicht meine Art ist.

Von diesem Moment an geht alles sehr schnell. Das Monster läuft vor Zorn rot an. Er sagt, mein Vater habe ihn betrogen und über mein Alter belogen. Nun regt sich auch Aba auf. Er sagt, es sei abgemacht gewesen, dass er mich erst anrührt, wenn ich größer bin. Da wird das Monster erst richtig dreist. Er wolle nur unter der Bedingung in die Scheidung einwilligen, dass mein Vater das Brautgeld zurückzahlt! Er habe nie Geld erhalten, gibt mein Vater zurück. Auf einmal geht es zu wie im Basar! Wie viel? Wann? Wie? Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt? Jemand bietet dem Monster 50 000 Rial an, wenn die Sache damit geregelt wäre. So viel verdient ein Arbeiter im Jemen in vier Monaten. Mir wächst das alles über den Kopf. Ich will das alles nicht mehr hören! Ich möchte nur meine Ruhe haben, ein für alle Mal! Ich habe genug von diesen Streitereien unter den Großen, unter denen immer wir Kinder zu leiden haben!

Endlich kommen die erlösenden Worte des Richters.

»Die Scheidung ist hiermit vollzogen!«, verkündet er.

Die Scheidung ist vollzogen! Ich wage es kaum, meinen Ohren zu trauen. Ich möchte jubeln, meine Freude laut hinausrufen! So glücklich bin ich, dass ich es gar nicht mitbekomme, als der Richter verfügt, dass mein Vater und das Monster freigelassen werden sollen. Ohne das geringste Bußgeld, sie müssen nicht einmal eine Verpflichtung zur Besserung unterzeichnen!

Im Moment möchte ich nur meine wiedergefundene Freiheit genießen. Als wir den kleinen Raum verlassen, stelle ich fest, dass die Menschenmenge immer noch da ist – lauter als zuvor!

»Ein Satz für die Kameras, nur ein Satz!«, ruft ein Journalist. Alle drängen herbei, alle wollen mich sehen. Sie applaudieren. »Mabrouk!«, schallt es mir wie ein Chor in den Ohren.

So jung sei sicherlich noch niemand auf der Welt geschieden worden, höre ich jemanden hinter mir murmeln.

Dann geht ein Regen von Geschenken auf mich nieder. Ein Mann, den meine Geschichte gerührt hat, drückt mir ein Bündel Geldscheine in die Hand. 150 000 Rial! Er stellt sich als Vertreter eines saudischen Spenders vor. Noch nie in meinem Leben habe ich so viel Geld in der Hand gehabt.

»Dieses Mädchen ist eine Heldin. Sie hat eine Belohnung verdient!«, ruft er.

Ein anderer Mann erzählt mir von einer Irakerin, die mir Gold schenken will.

Schon geht wieder das Blitzlichtgewitter los. Da erhebt sich in der Menge einer meiner Onkel und ruft zu Shada hinüber:

»Sie haben das Ansehen unserer Familie beschmutzt! Sie haben unsere Ehre befleckt!«

Shada schaut mich an.

»Dummes Zeug, was er da sagt«, flüstert sie mir ins Ohr.

Sie nimmt mich an der Hand und führt mich hinaus. Vor meinem Onkel brauche ich keine Angst mehr zu haben, schließlich habe ich gewonnen! Gewonnen! All das Geschimpfe, es hat ein Ende! Ich bin geschieden! Die Ehe, sie ist vorbei! Wie seltsam, mit einem Mal fühle ich mich ganz leicht, ich habe das Gefühl, wieder ein Kind zu sein …

»Khaleh Shada?«

»Ja, Nojoud?«

»Ich möchte neue Spielsachen haben! Ich möchte Schokolade und Kuchen essen!«

Ihre ganze Antwort ist ein Lächeln.