Author Topic: Jihad in Boston  (Read 971 times)

KarlMartell

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Re: Jihad in Boston
« on: April 19, 2013, 11:42:59 am »
Mutmaßliche Boston-Attentäter: "Ich habe keinen einzigen amerikanischen Freund"

Von Rainer Leurs und Raniah Salloum

Es sind offenbar zwei Brüder mit tschetschenischen Wurzeln, die hinter dem Anschlag auf den Boston-Marathon stecken. Spuren im Netz verraten ihre tiefe Religiosität, schlagkräftige Hobbys und radikale Ansichten. Womöglich haben sie den ersten islamistischen Anschlag in den USA seit 9/11 verübt.

Die dramatische Verfolgungsjagd macht klar, dass die Polizei es nicht mit Amateuren zu tun hat. Seit über acht Stunden schon jagen Hunderte Polizisten den 19-Jährigen Dschochar Zarnajew - bisher ohne Erfolg.

Auf der Flucht vor den Ermittlern haben Dschochar und sein 26-jähriger Bruder Tamerlan Zarnajew sich einen Schusswechsel mit Polizisten geliefert und einen von ihnen erschossen. Dann überfielen sie einen Supermarkt, womöglich um sich Geld für die Flucht zu beschaffen, bevor sie ein Auto kaperten und aus der Stadt Cambridge davonbrausten.

Die jungen Männer versuchten die sie verfolgenden Beamten mit Granaten und Schüssen aufzuhalten. Bis ins sieben Kilometer entfernte Watertown schafften sie es, bevor der ältere Bruder offenbar lebensgefährlich getroffen wurde und später in der Klinik verstarb. Der jüngere entkam zu Fuß.

Es ist eine dramatische Wende in den Ermittlungen zum Anschlag von Boston. Die zwei Kochtopfbomben, die dort explodierten, ließen keine Rückschlüsse auf die Täter zu. Nahezu jeder hätte solche Sprengsätze bauen können, auch ein Täter, der allein agierte, bisher unauffällig war und sich keiner ideologischen Strömung zuordnen ließe. Nun lässt die offensichtliche Professionalität und die Biografie der beiden die Ermittler aufhorchen.

Die beiden Brüder stammten ursprünglich aus Tschetschenien

Russischen Medien zufolge soll zumindest der ältere Bruder in Tschetschenien geboren worden sein, von wo ihre Familie nach Zentralasien floh, erst offenbar nach Kasachstan, dann nach Kirgisien. Dort kam offenbar der Jüngere, Dschoschar, zur Welt. Mit ihren Eltern zogen sie gegen 2001 nach Dagestan, eine islamisch geprägte russische Teilrepublik im Nordkaukausus. Im Jahr 2002 sollen sie in die USA übergesiedelt sein.

Der getötete Tamerlan sei mit seiner Familie in den frühen neunziger Jahren aus Tschetschenien geflohen, schreibt der Fotograf Johannes Hirn, der den jungen Mann beim Box-Training porträtierte. Wie alt die Bilder des Fotografen sind, ist noch unklar. Jahrelang hätte die Familie in Kasachstan gelebt, bevor sie als Flüchtlinge in die USA kamen.

Boxen scheint Tamerlans große Leidenschaft gewesen zu sein. "Ich habe keinen einzigen amerikanischen Freund", verriet Tamerlan damals dem Fotografen. "Ich verstehe sie nicht."

Tamerlan war 26 Jahre alt, als er starb. Auf den Fotos aus dem Jahr 2011 zeigt er sich als modisch gekleideter, athletischer Typ, der Mercedes fährt und 196 Pfund Kampfgewicht auf die Waage bringt. Er möge den Film "Borat", erzählte er damals dem Fotografen, finde aber die Witze zum Teil etwas krass.

Tamerlan verriet außerdem, dass er ungern sein Hemd auszieht, damit "die Mädchen nicht auf dumme Gedanken kommen". Er sei sehr religiös. Auch rauche und trinke er nicht, denn: "Gott sagt: Keinen Alkohol!". Als Muslim sage er, dass die Leute keinerlei Werte mehr hätten, nach denen sie sich richten. Er selbst habe auch eine Freundin: eine Italo-Portugiesin, zum Islam konvertiert. "Sie ist hübsch, Mann", sagte er damals.

Im Internet präsentieren sie sich als Islamisten

Sein Bruder Dschochar, der noch auf der Flucht ist, pflegte offenbar bis zuletzt sein Profil in der russischen Facebook-Variante vk.com. Dort präsentiert er sich mit einem Profilbild in Schwarzweiß, auf dem er leicht abschätzig in die Kamera blickt - ein schmächtiger junger Mann, keine zwanzig, mit wirrem Lockenhaupt. Den Angaben auf seiner Seite zufolge ging Dschochar in Machatschkala zur Schule, der Hauptstadt Dagestans. Unter "Weltanschauung" hat er auf seiner Seite "Islam" angeklickt.

Ein Konto auf YouTube, das vor einem Jahr auf den Namen Tamerlans registriert wurde, hat mehrere radikalislamistische Videos als Favoriten verlinkt. In einem Video vom Mai 2012 wendet sich ein Prediger an seine "salafistischen Brüder aus Tschetschenien" und spricht den Bürgerkrieg in Syrien an. Einige Kämpfer aus Tschetschenien haben sich den Aufständischen dort angeschlossen, weil sie den Kampf als Unterdrückung der Muslime interpretieren.

Viele wichtige Fragen sind allerdings noch offen. Wo haben die beiden gelernt, mit Waffen und Sprengstoff umzugehen? Standen sie im Kontakt zu internationalen Terrornetzwerken? Haben sie ihre Tat allein geplant oder gibt es Drahtzieher? Hatten die beiden noch weitere Anschläge vor?

Auf diese Fragen dürften sich die Ermittler Antworten von Dschochar erhoffen, sollten sie ihn lebend festnehmen können. Er scheint weiterhin Waffen und Sprengstoff bei sich zu haben. Ganz Boston hält den Atem an, während die Jagd nach dem Verdächtigen weiter läuft.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/mutmassliche-boston-attentaeter-die-religioesen-brueder-aus-tschetschenien-a-895431.html

PS:
Quote
Anmerkung der Redaktion: In einer vorigen Version dieses Textes haben wir geschrieben, das Marathon-Attentat sei womöglich der erste islamistische Anschlag in den USA seit dem 11. September 2001. Dies ist nicht der Fall, auch der Amoklauf von Fort Hood gilt als islamistisch motiviert. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, diesen zu entschuldigen.
« Last Edit: April 19, 2013, 11:47:27 am by KarlMartell »