Author Topic: Schöner shoppen mit Allah - Die iranische Insel Kisch  (Read 163 times)

Kater Karlo

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Schöner shoppen mit Allah - Die iranische Insel Kisch
« on: June 17, 2013, 02:40:37 pm »
Iranische Insel Kisch: Schöner shoppen mit Allah
Von "Mare"-Autor Christian Schüle

Partyboote mit Discobeat, Shopping in zollfreier Zone: Auf der Insel Kisch im Persischen Golf bauen Irans Herrscher eine Urlauberhochburg für strenggläubige Muslime. Nach dem Vorbild Dubais frönen Iraner hier einem westlichen Konsumtourismus - doch die Sittenwächter sind allgegenwärtig.

Es gab an jenem Freitagabend, islamischer Feiertag, diesen kurzen, aber verstörenden Moment der Unachtsamkeit - oder eben den Moment eines souveränen Willens -, der einem auf der Terrasse des Strandrestaurants "SuperStar" sitzenden Europäer normalerweise gar nicht auffallen würde.

Hier und jetzt aber schien die folgende Momentaufnahme der gedehnte Schnappschuss einer Verwandlung zu sein, die sich womöglich auf der Insel Kisch vollzieht: der Augenblick, als eine junge Frau, geschätzt 20, sich mit zwei Freundinnen im Strandsand den Volleyball zupritschte, mit einer schnellen Handbewegung das Tuch vom Kopf nach hinten abstrich und auf den Schultern ablegte, woraufhin ihr gesamtes Haar zu sehen war, schwarz, dick und schwer, wie es bei Iranerinnen oft der Fall ist.

Die Kopftuchlose pritschte weiter, und alle drei verausgabten sich noch gut fünf Minuten, hechteten dem Ball hinterher, fielen in den Sand und lachten. Dann setzten sie sich auf drei Stühle um einen der vorderen Tische, besagte Frau zog sich das Tuch wieder über den Kopf und tupfte mit seinen Enden den Schweiß in ihrem Gesicht, während die zweite in ihr Handy sprach und die dritte den Rauch ihrer Marlboro light nach oben blies und auf aufreizende Art ihren unbeschuhten, pedikürten Fuß auf den Tisch stellte.

Ein wabbeliger Kerl in Surferklamotte kam vorbei, plauderte ein wenig mit der einen, schnorrte sich eine Zigarette bei der anderen, verbeugte sich vor allen drei jungen Frauen auf sehr höfliche Weise und ging barfuß durch den Sand Richtung Osten. Es waren noch immer 30 Grad, die Luftfeuchtigkeit lag zwischen 80 und 90 Prozent, und die Wellen des Persischen Golfs schwappten fast zärtlich heran. Im Himmel stand eine honiggelbe Sichel, ein Muezzin war nicht zu hören, eine Moschee nicht zu sehen. Niemand betete öffentlich, aus den Lautsprechern des "SuperStar" polterte Perso-Pop, und über dem Wasser des Golfs tobten Schwalben.

Größenwahn oder Experimentierlabor?

Wie symbolisch diese kleine Szene unverhoffter Freiheit war, würde sich erst in den folgenden Tagen herausstellen, in denen es unter Geheimhaltung der eigenen Absichten zu ergründen galt, ob die Insel Kisch an Größenwahn leidet oder ein Experimentierlabor der Teheraner Regierung für einige Dezimale Offenheit und Öffnung zur Welt ist. Kisch ist eine 91 Quadratkilometer kleine Angelegenheit, die sich seit einigen Jahren aufschwingt, zum Dubai Persiens zu mutieren. Die große Frage ist also, wie viel Schein hinter der Metamorphose steckt und wie viel Wert fünf Minuten Freiheit im Utopia eines anderen Iran tatsächlich haben.

Die Taxifahrt im weißen High-Class-Toyota führt durch ein weitgehend unbeseeltes, mit 30.000 gepflanzten Palmen beschmücktes Niemandsland. Menschen sind nicht zu sehen, Hunde nicht, Katzen nicht. Kein Rind, kein Lamm, kein Leben. In einiger Entfernung sind rechts wie links, nah wie fern Skelette himmelstürmerischer Hochhäuser in den Boden gewuchtet, überragt von Kränen. Ab und an sind Arbeiter zu sehen, und hier und da hört man Hammerschläge an der großen Zukunft.

Schon auf den ersten Metern Kish Island ist zu erkennen, dass hinter allem ein ordnender und ordentlicher Geist steht; auf Anhieb erscheint die Insel wie die Simulation eines Architektenentwurfs, nur dass die Bäume und Häuser keine Hartgummi- oder Plastikobjekte eines Modells sind, sondern reale Bäume, frisch und gut geteerte Straßen und gigantische Betonkomplexe.

Straßenarbeiter in dunkelgrünem Overall wässern magentafarbene Bougainvillea auf den Zwischenstreifen der Fahrbahnen, andere in rapsgelben Anzügen schneiden und säubern Palmblatt für Palmblatt, fegen Plätze und Bordsteine, schneiden akkurat das Gras und justieren Sprinkler um Eukalyptusbäume im Kreis der Verkehrsinseln. Diese so penibel wie großzügig arrangierten Roundabouts - in deren Mitte gern Skulpturen aus Künstlerhand stehen, Delfine, Pfaue, islamische Gelehrte - regeln den Verkehr von selbst. Und schneller als 60, auf den großen Straßen 80, darf auf Kisch ohnehin niemand fahren - und fährt also auch niemand -, Blitzanlagen und laserschießende Polizisten kontrollieren zuverlässig. Auf der ganzen Insel gibt es nicht eine einzige Ampel. Es scheint weiter, als sei Kisch ein einziger Roundabout.

"Beautiful Kish Island"

Die Fahrt vom International Airport zum "Dariush Grand Hotel" mit Tempo 70 dauert 15 Minuten und kostet sechs Euro. Taxameter gibt es nicht, der Fahrer hätte auch drei oder zehn Euro akzeptiert. Für 100 Euro wechselt man 1,3 Millionen Rial, abgegriffene Scheine mit dem Konterfei des Ajatollah Khomenei. Der tote Begründer der Iranischen Revolution und der aktuelle geistliche Führer Ajatollah Ali Chamenei sind omnipräsent.

In autoritärer Grimmigkeit blicken sie von monumentalen Stelltafeln an strategisch wichtigen Kreuzungen des insularen Straßengeflechts auf ihr Volk herab, und ihre Porträts hängen, stets nebeneinander, in jedem Geschäft, mindestens in jedem offiziellen Büro. Wo sie nicht zu sehen sind, sind sie über Sittlichkeit und die islamischen Gesetze anwesend. Mehr als eine islamische Theokratie ist der Iran ein Polizeistaat mit fein verästeltem Spitzeltum in einem System aus Angst und Gehorsam, dem man auch in Kisch nicht entkommt.

Das Meer um Kisch ist ein Privileg. Seine Farbe: meist türkis; das Wasser: weich, samtig, fast ölig und nur wenig kühler als die Luft. Der Salzgehalt ist hoch, der Sand fein, und an den Stränden liegen vertrocknete Korallenäste. Es gibt Wissenschaftler, die um Kisch herum das biblische Paradies verorten wollen. Mehrfach haben Geologen nachgewiesen, dass es den Persischen Golf vor 15000 Jahren nicht gegeben hat und die gesamte Region von der Industrie- und Hafenstadt Bandar Abbas im Süden bis zum heutigen Kisch und seinen Nachbarinseln fruchtbares Festland gewesen war.

Das Wort "Paradies" entstammt dem altpersischen Begriff pairidaeza und bedeutet übersetzt: das Umwallte, Umzäunte oder etwas freier: umwallter Park, noch freier: eingefriedeter Garten. Jedenfalls etwas Wundervolles, überirdisch Schönes. Beautiful Kish Island. Mit dem Schriftzug dieser so ungewöhnlichen wie selbstverklärenden Formel in Englisch werden alle Gäste vor der Ankunftshalle des Airports begrüßt. Täglich wickelt man hier zehn internationale Flüge und 45 aus dem oder in den restlichen Iran ab. Ein Visum ist für niemanden nötig, beschränkt er seinen Wunsch zu bleiben auf zwei Wochen. Wer nach Kisch will, braucht allerdings einen stabilen Kreislauf und genügend Bargeld, denn die westlichen Kreditkarten sind weder von Menschen noch Automaten akzeptiert.


 
Alessandro Grassani
 Es gab an jenem Freitagabend, islamischer Feiertag, diesen kurzen, aber verstörenden Moment der Unachtsamkeit - oder eben den Moment eines souveränen Willens -, der einem auf der Terrasse des Strandrestaurants "SuperStar" sitzenden Europäer normalerweise gar nicht auffallen würde.


ANZEIGEHier und jetzt aber schien die folgende Momentaufnahme der gedehnte Schnappschuss einer Verwandlung zu sein, die sich womöglich auf der Insel Kisch vollzieht: der Augenblick, als eine junge Frau, geschätzt 20, sich mit zwei Freundinnen im Strandsand den Volleyball zupritschte, mit einer schnellen Handbewegung das Tuch vom Kopf nach hinten abstrich und auf den Schultern ablegte, woraufhin ihr gesamtes Haar zu sehen war, schwarz, dick und schwer, wie es bei Iranerinnen oft der Fall ist.

Die Kopftuchlose pritschte weiter, und alle drei verausgabten sich noch gut fünf Minuten, hechteten dem Ball hinterher, fielen in den Sand und lachten. Dann setzten sie sich auf drei Stühle um einen der vorderen Tische, besagte Frau zog sich das Tuch wieder über den Kopf und tupfte mit seinen Enden den Schweiß in ihrem Gesicht, während die zweite in ihr Handy sprach und die dritte den Rauch ihrer Marlboro light nach oben blies und auf aufreizende Art ihren unbeschuhten, pedikürten Fuß auf den Tisch stellte.

Ein wabbeliger Kerl in Surferklamotte kam vorbei, plauderte ein wenig mit der einen, schnorrte sich eine Zigarette bei der anderen, verbeugte sich vor allen drei jungen Frauen auf sehr höfliche Weise und ging barfuß durch den Sand Richtung Osten. Es waren noch immer 30 Grad, die Luftfeuchtigkeit lag zwischen 80 und 90 Prozent, und die Wellen des Persischen Golfs schwappten fast zärtlich heran. Im Himmel stand eine honiggelbe Sichel, ein Muezzin war nicht zu hören, eine Moschee nicht zu sehen. Niemand betete öffentlich, aus den Lautsprechern des "SuperStar" polterte Perso-Pop, und über dem Wasser des Golfs tobten Schwalben.

Größenwahn oder Experimentierlabor?

Wie symbolisch diese kleine Szene unverhoffter Freiheit war, würde sich erst in den folgenden Tagen herausstellen, in denen es unter Geheimhaltung der eigenen Absichten zu ergründen galt, ob die Insel Kisch an Größenwahn leidet oder ein Experimentierlabor der Teheraner Regierung für einige Dezimale Offenheit und Öffnung zur Welt ist. Kisch ist eine 91 Quadratkilometer kleine Angelegenheit, die sich seit einigen Jahren aufschwingt, zum Dubai Persiens zu mutieren. Die große Frage ist also, wie viel Schein hinter der Metamorphose steckt und wie viel Wert fünf Minuten Freiheit im Utopia eines anderen Iran tatsächlich haben.

Die Taxifahrt im weißen High-Class-Toyota führt durch ein weitgehend unbeseeltes, mit 30.000 gepflanzten Palmen beschmücktes Niemandsland. Menschen sind nicht zu sehen, Hunde nicht, Katzen nicht. Kein Rind, kein Lamm, kein Leben. In einiger Entfernung sind rechts wie links, nah wie fern Skelette himmelstürmerischer Hochhäuser in den Boden gewuchtet, überragt von Kränen. Ab und an sind Arbeiter zu sehen, und hier und da hört man Hammerschläge an der großen Zukunft.

Schon auf den ersten Metern Kish Island ist zu erkennen, dass hinter allem ein ordnender und ordentlicher Geist steht; auf Anhieb erscheint die Insel wie die Simulation eines Architektenentwurfs, nur dass die Bäume und Häuser keine Hartgummi- oder Plastikobjekte eines Modells sind, sondern reale Bäume, frisch und gut geteerte Straßen und gigantische Betonkomplexe.

Straßenarbeiter in dunkelgrünem Overall wässern magentafarbene Bougainvillea auf den Zwischenstreifen der Fahrbahnen, andere in rapsgelben Anzügen schneiden und säubern Palmblatt für Palmblatt, fegen Plätze und Bordsteine, schneiden akkurat das Gras und justieren Sprinkler um Eukalyptusbäume im Kreis der Verkehrsinseln. Diese so penibel wie großzügig arrangierten Roundabouts - in deren Mitte gern Skulpturen aus Künstlerhand stehen, Delfine, Pfaue, islamische Gelehrte - regeln den Verkehr von selbst. Und schneller als 60, auf den großen Straßen 80, darf auf Kisch ohnehin niemand fahren - und fährt also auch niemand -, Blitzanlagen und laserschießende Polizisten kontrollieren zuverlässig. Auf der ganzen Insel gibt es nicht eine einzige Ampel. Es scheint weiter, als sei Kisch ein einziger Roundabout.

"Beautiful Kish Island"

Die Fahrt vom International Airport zum "Dariush Grand Hotel" mit Tempo 70 dauert 15 Minuten und kostet sechs Euro. Taxameter gibt es nicht, der Fahrer hätte auch drei oder zehn Euro akzeptiert. Für 100 Euro wechselt man 1,3 Millionen Rial, abgegriffene Scheine mit dem Konterfei des Ajatollah Khomenei. Der tote Begründer der Iranischen Revolution und der aktuelle geistliche Führer Ajatollah Ali Chamenei sind omnipräsent.

In autoritärer Grimmigkeit blicken sie von monumentalen Stelltafeln an strategisch wichtigen Kreuzungen des insularen Straßengeflechts auf ihr Volk herab, und ihre Porträts hängen, stets nebeneinander, in jedem Geschäft, mindestens in jedem offiziellen Büro. Wo sie nicht zu sehen sind, sind sie über Sittlichkeit und die islamischen Gesetze anwesend. Mehr als eine islamische Theokratie ist der Iran ein Polizeistaat mit fein verästeltem Spitzeltum in einem System aus Angst und Gehorsam, dem man auch in Kisch nicht entkommt.

Das Meer um Kisch ist ein Privileg. Seine Farbe: meist türkis; das Wasser: weich, samtig, fast ölig und nur wenig kühler als die Luft. Der Salzgehalt ist hoch, der Sand fein, und an den Stränden liegen vertrocknete Korallenäste. Es gibt Wissenschaftler, die um Kisch herum das biblische Paradies verorten wollen. Mehrfach haben Geologen nachgewiesen, dass es den Persischen Golf vor 15000 Jahren nicht gegeben hat und die gesamte Region von der Industrie- und Hafenstadt Bandar Abbas im Süden bis zum heutigen Kisch und seinen Nachbarinseln fruchtbares Festland gewesen war.

Das Wort "Paradies" entstammt dem altpersischen Begriff pairidaeza und bedeutet übersetzt: das Umwallte, Umzäunte oder etwas freier: umwallter Park, noch freier: eingefriedeter Garten. Jedenfalls etwas Wundervolles, überirdisch Schönes. Beautiful Kish Island. Mit dem Schriftzug dieser so ungewöhnlichen wie selbstverklärenden Formel in Englisch werden alle Gäste vor der Ankunftshalle des Airports begrüßt. Täglich wickelt man hier zehn internationale Flüge und 45 aus dem oder in den restlichen Iran ab. Ein Visum ist für niemanden nötig, beschränkt er seinen Wunsch zu bleiben auf zwei Wochen. Wer nach Kisch will, braucht allerdings einen stabilen Kreislauf und genügend Bargeld, denn die westlichen Kreditkarten sind weder von Menschen noch Automaten akzeptiert.

Exil im Paradies


ANZEIGE"Diese Insel hat Zukunft!", sagen selbst kritische Geister, die vor Kurzem oder Längerem aus dem verpesteten Moloch Teheran nach Kisch übergesiedelt haben. Fällt der Name Ahmadinedschad, tippen sie sich so gut wie alle fassungslos an die Schläfe, wobei gesagt werden muss, dass wer von Teheran nach Kisch kommt, in eine Art inneriranisches Exil umzieht, was meist die "renitenten Söhne" des Volkes tun, politisch Verfolgte, Studenten, Dozenten oder Menschen, die die Dogmatik und Gestrigkeit der paternalistischen Mullahs nicht mehr ertragen.

Die Islamische Republik Iran hat seit einigen Jahren ein sehr weltliches Interesse daran, das alte Kapital ihrer Reichen nicht weiterhin an Dubai zu verlieren und im Land zu behalten und neues Kapital aus Deutschland, der Schweiz oder aus dem arabischen Raum anzuziehen. In seiner Überschaubarkeit und Beschaulichkeit könnte die Insel eine Art sozioökonomisches Versuchslabor des Iran sein, in dem man neue Realitäten erproben und die Ergebnisse von Mikroprozessen studieren kann. Vielleicht meint der Satz, die Regierung kümmere sich sehr um Kisch, dass sich auf der Insel im Kleinen soziale, ökonomische und moralische Wagnisse eingehen lassen, die, zeitigen die Modellversuche gewünschte Resultate, späterhin ins Große übertragbar sind.

Am Ende des breiten Boulevards der Bankhäuser, darunter die Europäisch-Iranische Handelsbank AG mit Head Office in Hamburg, kurz bevor es zum "Women's Beach Club" geht, steht nach einer Linkskurve in der Sanaee-Straße in seiner ganzen Scheinprächtigkeit das 2003 in hellem Sandstein errichtete Gebäude der Kish Free Zone Organization, das sich mit Säulen, Portikus und Wandeltreppe wie ein Regierungssitz geriert. Und es in der Tat auch ist, denn hier wird über die Infrastruktur und also Zukunft von Beautiful Kish Island entschieden.

weiterlesen:
2. Teil: Kapitalistisches Eden mit schiitischer Moral
3. Teil: Die Unfreiheit der Freihandelszone
 
http://www.spiegel.de/reise/fernweh/iranische-insel-kisch-schoener-shoppen-mit-allah-a-734764.html
 

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